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Dietmar Schäfers im Interview: "Der Mindestlohn muss die Ausnahme sein"

dietmar schäfers
(© IG BAU, Alexander Paul Englert)
16.02.2018
Bauhauptgewerbe

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt ist unter den deutschen Gewerkschaften der Vorreiter wenn es um allgemeinverbindliche Mindestlöhne geht. Nicht vielen ist bekannt wie es beispielsweise zu den Mindestlöhnen im Bauhauptgewerbe kommt und mit wem und weshalb die IG BAU sie verhandelt. Im Interview klärt der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende, Dietmar Schäfers, auf.

Grundstein: Dietmar, wie kam es dazu, dass die IG BAU Mindestlöhne verhandelt?

Dietmar Schäfers: Wir hatten in den 90er-Jahren eine Situation, in der Firmen aus ganz Europa, sowohl aus dem Osten als auch dem Westen, nach Deutschland kamen und Bauaufträge annahmen. Diese Unternehmen waren natürlich in keinem deutschen Arbeitgeberverband. Unsere bis dahin verhandelten Tarifverträge galten also nicht für sie. Wir mussten eine Lösung finden, der neuen Situation gerecht zu werden.Die Idee des Branchenmindestlohns am Bau wurde geboren.
Damals, als Norbert Blüm Arbeitsminister war, führten wir also die Lohnuntergrenze Mindestlohn ein. In dem Zuge hatte man damals schon die nicht tarifgebundenen Unternehmen ebenfalls mitgebunden. Das war aber nicht das erste Ziel. Es ging darum, dass der Wettbewerb hier stabil bleibt. Nur so konnte der Druck von den hiesigen Betrieben und Baubeschäftigten genommen werden immer billiger arbeiten zu müssen. Du bist eben nicht wettbewerbsfähig, wenn Löhne von fünf DM bezahlt werden.

G: Und wieso gibt es heute zwei unterschiedliche Mindestlöhne?

DS: Später Wurde dann ein zweiter Mindestlohn erreicht, der die fachliche Tätikeit berücksichtigt.

G: Und wie kommt es zu den unterschiedlichen Löhnen in Ost- und West?

DS: Wir hatten in den 90er-Jahren bereits eine Vereinbarung mit den Arbeitgebern über die Angleichung der Löhne zwischen Ost und West. Und dann kam die schwere Baukrise. Das Thema der raschen Angleichung ist dann verschoben worden. Keiner hätte damals gedacht, dass es so lange dauern würde. Nicht nur im Bauhauptgewerbe, sondern auch in anderen Branchen.
Das Gefälle, und das sage ich deutlich, lässt sich weder wirtschaftlich noch moralisch begründen. Das häufigste Argument der Arbeitgeber ist es, dass die Wirtschaftskraft geringer sei im Osten als im Westen. Das gilt heute am Bau nicht mehr. Die Argumentation der Arbeitgeber ist vorgeschoben und reine Ideologie. Das Durchsetzen anderer Preise im Osten, was die Arbeitgeber für nicht möglich halten, ist auch nicht Aufgabe der Gewerkschaft. Das ist eine Aufgabe der Unternehmen.

G: Was ist die Konsequenz einer solchen Preispolitik?

DS: Ich war kürzlich in Dresden und habe in die Zeitung geguckt. Es ist sehr interessant, zu sehen, dass die Unternehmen dort keine Leute mehr finden. Auftraggeber, seien es private oder öffentliche, finden keine Unternehmen mehr für ihre Vorhaben, weil die Auftragsbücher voll sind.
Außerdem erzählen mir Unternehmen, dass sie im Osten ebenfalls ihren regulären Preis erzielen. Generell gibt es auch im Osten mehr und mehr Unternehmen, die höhere Löhne zahlen müssen um ihre Mitarbeiter zu halten. Das spiegelt sich leider noch nicht im Tarifvertrag wieder.

G: Wo sind denn die großen Widerstände dagegen?

DS: Bei den Mitgliedern der Arbeitgeberverbände. Mittlerweile ist es ein ideologischer Widerstand, denke ich. Ich höre dann oft von Arbeitgebern: „Die Leute sind doch zufrieden so.“
Ich empfehle deshalb jedem, der falsch eingruppiert ist, die Firma zu wechseln, damit er den richtigen Lohn bekommt.
Bei der aktuellen Höchstkonjunktur muss ich jedem Handwerker empfehlen seine Arbeit so teuer wie möglich anzubieten. Da ist der Tariflohn mindestens drinnen. Für die Unternehmen muss gelten: die Zahlung des Tariflohns ist eine Frage des Anstandes und der Moral!

G: Mit wem werden diese Mindestlöhne eigentlich verhandelt?

DS: Mit den Arbeitgebern. Mit denselben Tarifvertragsparteien, wie auch den Tariflohn. Wir verhandeln also wie auch sonst. Das Ergebnis wird dann nach Berlin gegeben. Auf der Grundlage des Entsendegesetzes wird dann der Tarifvertrag zwischen uns und den Arbeitgebern durch eine Verordnung allgemeinverbindlich erklärt. Ab dann gilt der Vertrag praktisch wie Gesetz.
Es ist übrigens nicht nur der Mindestlohn. Auch das Urlaubsverfahren ist allgemeinverbindlich und gilt deshalb auch für ausländische Unternehmen.

G: Was ist der große Unterschied zwischen Tarif- und Mindestlohn?

DS: Der Tarifvertrag gilt zwischen den Mitgliedern der Tarifvertragsparteien. Wer Mitglied ist, geht grundsätzlich für den Tariflohn am Bau arbeiten, egal bei welchem Arbeitgeber er beschäftigt ist.. Nicht für den Mindestlohn. Die Firmen suchen händeringend Fachkräfte.
Den Tarifvertrag kann man mit gewerkschaftlichen Mitteln durchsetzen. Auch der Betriebsrat spielt hier eine wichtige Rolle.
G: Gibt es da keine Überschneidungen?

DS: Die Republik ist bunt. Natürlich gibt es auch Mitglieder, die den Mindestlohn nur bekommen, obwohl sie mehr verdient hätten. Die Kollegen bitte ich die Hilfe der Gewerkschaft aktiv einzufordern um dann im Betrieb zu gucken, wie man eine gerechte Situation herstellen kann.

G: Wie siehst du die Zukunft des Mindestlohns?

DS: Die Leute müssen sich schon organisieren. Das gilt auch für Entsendebeschäftigte aus West- und Osteuropa. Wir müssen wieder zurück zu dem eigentlichen Zweck des Mindestlohns. Der Mindestlohn muss die Ausnahme sein um den Wettbewerb zu schützen gegen Billiglohnkonkurrenz aus West- und Osteuropa! Dazu gehört aber auch, dass wir das System festigen durch flächendeckende, gleiche Mindestlöhne in Ost- und Wesdeutschland! Und dazu gehört ohne Zweifel auch ein Mindestlohn 2 im Osten. Es ist ein Skandal, dass unsere deutschen Arbeitgeber das nicht begreifen wollen Nur wenn wir stark genug sind, ist die Lohnuntergrenze sicher.