Saisonarbeit: Harter Job, geringer Lohn
Die Saisonkräfte in Hessen kommen aus Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Polen, Serbien, Ungarn oder sogar aus der Ukraine; die meisten sind Frauen. Sie kommen hierher, um bei der Ernte etwas Geld zu verdienen, denn in ihrer Heimat gibt es oft keine oder nur sehr gering bezahlte Arbeit für sie. Sie lassen sich zum Teil von Anwerber*innen an die landwirtschaftlichen Betriebe vermitteln. Diese Vermittlung ist nicht umsonst. Es werden Beträge von 100 bis 300 Euro pro Person verlangt, wie die Kolleg*innen der IG BAU, der Beratungsstelle Faire Mobilität Frankfurt und des Europäischen Vereins für Wanderarbeiterfragen e.V. bei ihren Besuchen auf den Feldern in Süd- und Nordhessen erfuhren.
Die Aktionen finden in dieser Zusammensetzung bereits das dritte Jahr in Folge statt. Die Gewerkschaftssekretär*innen der IG BAU und die muttersprachlichen Berater*innen des EVW sprachen direkt mit rund 350 Saisonarbeitskräften; erreicht wurden über Mund-zu-Mund-Propaganda viele mehr. Die Kollge*innen verteilten zudem Informationsmaterialien über die Mindestarbeitsbedingen in der Landwirtschaft. An zwei Abenden bauten sie Informationsstände in unmittelbarer Nähe von Unterkünften von Saisonbeschäftigten auf, an denen sich diese ohne die Aufsicht des*der Vorarbeiter*in und ohne Zeitdruck ausführlicher informieren konnten.


Ziel dieser Gespräche war, die Saisonkräfte über den Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde, über die arbeitsrechtliche Bedingungen, die Sachbezugswerte für Unterkunft und Verpflegung und über die Vorteile einer Gewerkschaftsmitgliedschaft zu informieren. Der Mindestlohn war oft bekannt, aber nicht selten gaben die Saisonkräfte an, nur fünf bis sechs Euro netto pro Stunde zu erhalten. Trotz gesetzlichen Mindestlohns gibt es Landwirte, die einen Akkordlohn zahlen, der teilweise unter diesem liegt. Der Mindestlohn wird aber auch durch überhöhte Mieten für die Unterkunft oder durch überhöhte Verpflegungskosten unterlaufen. Berichtet wurde von einem Betrieb mit 400 Saisonkräften. Alle hausen jeweils zu viert in einem Container. Zudem müssen sich die 400 Menschen zwei Sanitärcontainer (acht Toiletten) teilen. Dafür sollen die Kollegen und Kolleginnen aus dem Ausland jeweils 28 Euro pro Nacht zahlen.
Auch bei den diesjährigen Aktionen kam es zu Konflikten währen der Aktionen. Zum einen wurde eine Kontaktaufnahme zu vielen Beschäftigten eines großen Hofes in Südhessen durch eine Vorarbeiterin mit allen Mitteln verhindert. Den ausländischen Kolleg*innen wurde sogar ausdrücklich verboten, außerhalb ihrer Arbeitszeiten (also in ihrer Freizeit) zu einem Infostand zu kommen. Sie wurden zudem angewiesen, einen weiten Umweg zum Supermarkt auf sich zu nehmen, damit sie nicht am Infostand vorbeigehen. Die Vorarbeiterin hatte vor Ort die Einhaltung der „Anweisung“ persönlich kontrolliert.

Außerdem gingen die Kolleg*innen der IG BAU konkreten Hinweisen einer möglichen Vorenthaltung von Lohnansprüchen nach und suchten einen Hof bei der Auszahlung seiner Saisonarbeitskräfte auf. Vor Ort wurden ihnen keine Unregelmäßigkeiten von den Beschäftigten gemeldet. Nichtdestotrotz ist das Besorgnis der Saisonkräfte nachvollziehbar. Zum einen herrscht keinerlei Transparenz, was den Verdienst angeht. Zum anderen wurde schon von ausländischen Erntehelfer*innen berichtet, die vorzeitig abgereist sind, weil sie kein oder nicht genügend Lohn erhalten hätten. Dies schürt bei anderen Saisonkräften Ängste, ebenfalls betrogen zu werden.
Kolleg*innen der italienischen Agrargewerkschaft FLAI vom nationalen Gewerkschaftsbund CGIL hospitierten bei den Aktionen. Die Agrargewerkschaft führt in Süditalien eine ähnliche Informationskampagne namens „Ancora in campo“ („Noch auf dem Feld“) für migrantische Arbeitnehmer*innen durch.
Teilgenommen an den Aktionen haben außerdem Arnd Spahn, politischer Sekretär für den Agrarbereich bei dem Europäischen Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT) sowie Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der IG BAU und Leiter des Vorstandbereichs Agrar und Forst. Beide haben sich ein Bild von der Situation der Beschäftigten aus Mittel- und Osteuropa vor Ort gemacht. Diese Erkenntnisse werden sicher für das politische Engagement für bessere Arbeitsbedingen in der Landwirtschaft vom Nutzen sein.