Anna Korczynska Melanie Dreier
(Foto: privat)
10.12.2021
Bildung / Mitbestimmung

Dies ist die zweite Folge einer Serie von Artikeln, in denen wir über die Gründung und die Wahlen von Betriebsräten in verschiedenen Firmen berichten. Ihr erhaltet wertvolle Tipps und Informationen aus erster Hand von den Kolleginnen und Kollegen, die sich dieser wichtigen Aufgabe in ihrem Betrieb gestellt haben.

"Jeder Arbeitgeber in Deutschland muss damit rechnen, dass in seinem Betrieb ein Betriebsrat gegründet werden kann", sagt Anna Korczynska. Die 63-jährige ist Betriebsratsvorsitzende bei Hark Orchideen. Das familiengeführte Unternehmen in Lippstadt (NRW) widmet sich mit derzeit rund 500 Mitarbeiter*innen der Kultur und Vermehrung von Orchideen. Der Weg zur Gründung des Betriebsrats war dort mehr als steinig.

Im Sommer 2018 kam es zu zwei Bränden bei Firmen in der Nachbarschaft von Hark Orchideen. Die Beschäftigten wurden an diesen Tagen nach Hause geschickt, da weiteres Arbeiten wegen der Rauchbelastung unmöglich war. "Danach teilte uns die Geschäftsführung mit, dass uns dieser Tag vom Urlaub abgezogen wird", erzählt Anna. Das löste Protest und Unmut aus. Anna schlug den Kolleginnen ihres Labors eine Sammelklage vor und nahm Kontakt zur Geschäftsführerin auf. Nach kurzer Zeit wurde im Sinne der Beschäftigten entschieden.

Für Anna und einige ihrer Kolleginnen war nicht erst jetzt klar: Ein Betriebsrat muss her! Kontakt zu einem Anwalt hatten sie bereits einige Monate zuvor aufgenommen. Besseres Betriebsklima, mehr Wertschätzung und Familienfreundlichkeit – mit etlichen Themen wollten sie dem Arbeitgeber nicht mehr alleine gegenübertreten. Um in der Belegschaft Verständnis und Unterstützung für die Betriebsratswahl zu schaffen, gründeten sie die Gruppe "Starke Frauen" und machten ihr Vorhaben nach und nach unter den Kolleg*innen bekannt. Schließlich informierte Anna auch die Geschäftsführerin darüber – unter anderem, um einen Saal für die Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands (der dafür zuständig ist, die BR-Wahl zu organisieren) einzufordern. Dieses offene Vorgehen erwies sich jedoch als Fehler: "Innerhalb von 24 Stunden hat eine andere Gruppe zur Wahl eingeladen – alles Mitarbeitende aus der Verwaltung oder Vorarbeiter*innen, die der Geschäftsführung nahestehen", schildert Anna. Die "Starken Frauen" waren empört.

Zahlreiche Beschäftigte wurden Gewerkschaftsmitglied

Ende September 2018 fand die Wahl des Wahlvorstandes statt, zu der die andere Gruppe eingeladen hatte; rund 600 Beschäftigte waren zugegen. Die "Starken Frauen" hatten ihren Gewerkschaftssekretär von der IG BAU dazu eingeladen; inzwischen waren zahlreiche Beschäftigte Mitglied der Gewerkschaft geworden. Obwohl Anna und ihre Kollegin Melanie Dreier mit 257 beziehungsweise 284 Stimmen die besten Ergebnisse der 15 Kandidatinnen erhielten, kamen sie jeweils nicht auf die erforderlichen 50 Prozent der Stimmen. Die Wahl wurde von der Wahlleiterin als ergebnislos erklärt und beendet. Daraufhin ließ der Gewerkschaftssekretär das aus seiner Sicht "kurzfristige und unübersichtliche" Vorgehen bei der Wahl vor dem Arbeitsgericht Hamm prüfen. "Das ging in vielen Etappen, es gab etliche Verzögerungen durch den Arbeitgeber und die von ihm beauftragte Kanzlei, die für Union Busting bekannt ist. Wir kamen zu keiner gütlichen Einigung", so Anna. Schließlich bestellte das Arbeitsgericht im März 2019 den Wahlvorstand mit Anna, Melanie und ihrer Kollegin Swetlana Lemle. "Das war großartig", erinnert sich Anna. Doch nun fing die Arbeit für die "Starken Frauen" erst richtig an. "Unser Gewerkschaftssekretär und unser Anwalt waren dabei unsere größten Stützen", betont Anna.

Der Arbeitgeber blieb auch nicht tatenlos und organisierte beispielsweise Versammlungen zur "Mitarbeiter*inneninformation", ohne den Wahlvorstand dazu einzuladen. "Die Gewerkschaft und wir wurden in ein schlechtes Licht gestellt. Beide Seiten waren aggressiv, es war eine ganz hässliche Stimmung, die keinem gutgetan hat", schildert Anna diese Zeit. "Ohne Gewerkschaft hätten wir das niemals geschafft", ergänzt Melanie, heute die stellvertretende BR-Vorsitzende.

Schließlich bemühten sich aber alle Beteiligten, wieder etwas Ruhe einkehren zu lassen. Der Arbeitgeber ermöglichte dem Wahlvorstand sogar eine Schulung im Hause. Die "Starken Frauen" entschieden sich für eine Listenwahl und traten als IG BAU-Liste mit 22 Frauen und einem Mann gegen vier weitere Listen an. Am 5. Juni 2019 war es soweit: Betriebsratswahl bei Hark Orchideen! Mit einer extrem hohen Wahlbeteiligung und einem Riesen erfolg für die "Starken Frauen": Sie konnten neun von elf Plätzen im Betriebsrat besetzen.

"Wir waren überwältigt, wir haben gejubelt", erinnert sich Anna. Und Melanie fügt hinzu: "Das ganze Jahr war so anstrengend und nervenaufreibend, aber der Kampf hat sich schließlich gelohnt. Betriebsrat und Arbeitgeber bemühen sich, einen gemeinsamen Weg zu gehen."

Text: Cordula Binder