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Pflegebedürftig – und was ist allein noch möglich

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matchka  / pixelio.de

27.09.2017
Rente

Vier von hundert gesetzlich versicherten Bundesbürgern sind pflegebedürftig, so Zahlen von 2015 – insgesamt rund 2,8 Millionen Menschen. Das heißt: Sie sind auf Hilfe angewiesen, um möglichst lang selbstständig leben zu können.

Für die Pflege zu Hause gibt es entweder eine finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige oder ambulante Pflegeleistungen. Ausschlaggebend hierfür ist das Ergebnis einer Pflegebegutachtung. Die Begutachtung und Beratung der Pflegebedürftigen erfolgt in der Regel durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), und zwar durch speziell geschulte Fachkräfte. Sie nehmen diese Aufgabe im Auftrag der Kassen wahr, agieren aber unabhängig, so schreibt es das Gesetz vor.

Bis Ende des vergangenen Jahres wurde die Pflegebedürftigkeit noch allein in Minuten gemessen. Ausschlaggebend war, wieviel Zeit der zu Betreuende zur Unterstützung beim Waschen, Anziehen oder Essen benötigt. In mehreren Schritten wurden die Leistungen verbessert. Die Politik hat damit auf steigende Anforderungen an die Pflege in einer alternden Gesellschaft reagiert. Beispielsweise wurde die Pflegestufe 0 eingeführt für Menschen, die zwar keine körperlichen Probleme, aber Probleme in der Wahrnehmung haben.

Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz ist der jetzigen Bundesregierung etwas gelungen, woran viele Vorgängerregierungen gescheitert sind. Denn die Orientierung der Pflege ausschließlich an körperlichen Gebrechen wurde zum 1. Januar abgeschafft und auf der Grundlage eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes ersetzt. Aus den drei Pflegestufen wurden fünf Pflegegrade.

Der Hilfebedarf orientiert sich jetzt daran, wie stark die Selbstständigkeit beziehungsweise die Fähigkeiten eines Menschen bei der Bewältigung seines Alltages beeinträchtigt ist und er deshalb der Hilfe durch andere bedarf. Ob die Selbstständigkeit körperlich oder psychisch eingeschränkt ist, spielt dabei keine Rolle.

Bis zu 500.000 Personen bekommen damit mittelfristig Zugang zur Pflegeversicherung, besagen Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums. Ein großer sozialpolitischer Erfolg.

Für die Umsetzung der jetzt geltenden Kriterien war auch ein neues Begutachtungssystem erforderlich – eine Herausforderung, die die medizinischen Dienste gemeinsam gemeistert haben. Jetzt geht es an die Umsetzung. Was wird nun begutachtet? Die Mobilität spielt eine große Rolle, das heißt, wie selbstständig kann sich der Betroffene fortbewegen und auch versorgen sowie seinen Alltag gestalten. Wie findet er sich örtlich und zeitlich zurecht. Kann er für sich persönlich Entscheidungen treffen. Aufgrund einer Gesamtbewertung aller Fähigkeiten und Beeinträchtigungen erfolgt dann mit Hilfe eines Punktesystems durch den MDK die Zuordnung zu einem der fünf Pflegegrade.

222.178 Begutachtungen nach dem neuen System wurden vom MDK im ersten Quartal 2017 vorgenommen. Bei mehr als 80 Prozent hat der MDK einen der fünf Pflegegrade empfohlen, damit haben rund 129.000 Pflegebedürftige erstmals Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung bekommen. Eine große Leistung.


Dass die Umstellung eine Herausforderung für den MDK war, darf dabei nicht vergessen werden. 31 Prozent mehr Aufträge als im Vorjahreszeitraum sind im ersten Quartal 2017 bei den MDK eingegangen. Die Politik hat deshalb auch die Bearbeitungsfrist – 25 Tage von Antragstellung bis zum Bescheid – bis Ende 2017 ausgesetzt. Mit mehr Personal, freiwilliger Mehrarbeit und langfristig geplanten Maßnahmen, wie zielgruppengerechten Informationen für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen haben sich die MDK jedoch intensiv auf den Wechsel vorbereitet, damit es nicht zu längeren Wartezeiten kommt.

Neben der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit kommt es auch auf die Unterstützung der Betroffenen und Angehörigen an. Telefonische Beratung und schnelle Hilfe für Angehörige bietet das Pflegetelefon des Bundesfamilienministeriums unter 030/ 20179131. In mehr als 550 Pflegestützpunkte in Deutschland finden betroffenen Familien Rat und praktische Unterstützung für den zu Pflegenden. Aber auch die Innungskrankenkassen bieten Unterstützung an. Näheres hierzu finden Sie auf den jeweiligen Internetseiten der IKK.
Mehr Leistungen in der Pflege sind jedoch auch mit höheren Kosten verbunden – 16,7 Milliarden Euro betrugen die Ausgaben im Jahr 2000. Im vergangenen Jahr waren es bereits 29 Milliarden Euro. Damit die Pflegeversicherung kostendeckend wirtschaften kann, wurde zum 1. Januar 2017 der Beitragssatz auf 2,55 von 2,35 Prozent angehoben. Kinderlose zahlen 2,8 Prozent.

Fünf Milliarden Euro kommen so mehr in die Kasse der Pflegeversicherung, so das Bundesgesundheitsministerium. Ob das Geld dann reicht, bleibt abzuwarten. Zumal noch viel getan werden muss, um die Ausbildung zum Altenpfleger attraktiv zu machen. Eine grundlegende Aufgabe müssen die künftige Bundesregierung und alle in dem Bereich tätigen Akteure angehen: dem bereits vorhandenen und nach allen Prognosen sich verschärfenden Mangel an Pflegefachkräften entgegenzuwirken

Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V.