"Als hätte ich mein Leben lang nichts gearbeitet"
Es ist höchste Zeit für einen Kurswechsel - Rente muss auch morgen für ein gutes Leben reichen. Deswegen fordern wir die Politik nachdrücklich auf, Menschen im Alter auskömmlich finanziell auszustatten und passgenaue Übergänge in den Ruhestand zu ermöglichen.
Erster Schritt: Das Niveau der gesetzlichen Rente muss stabilisiert und wieder angehoben werden. Im vergangenen Jahr lag das Rentenniveau bei 47,9 Prozent. Bis 2030 soll es nach jetziger Rentenformel sinken, schlimmstenfalls auf nur noch 43 Prozent. Das bedeutet beispielsweise für eine Gebäudereinigerin mit einem Monatslohn von 1656 Euro eine Rente in Höhe von 595 Euro. Im Jahre 2030 sind es dann lediglich noch 534 Euro (Zahlen aus 2016) – bezogen auf 40 Jahre Beitragszahlungen zur Rentenversicherung und auf die Preise von heute gerechnet.
Das ist weniger als die Grundsicherung im Alter für einen Single. Die bekommt jede/r Bedürftige - egal, ob sie/er gearbeitet hat oder nicht. Sie beträgt im Schnitt 580 Euro. Eine geringere Rente wird jedoch damit verrechnet.
Ausdruck materieller Not
Die Entwicklung ist dabei kein Zeichen von mehr Fitness der Senioren, sondern Ausdruck materieller Not. In einer IG BAU-Umfrage aus 2013 zum Thema „Arbeiten im Alter“ gab von den befragten Mitgliedern ab 63 jeder Dritte erwerbstätige Rentner an, arbeiten zu müssen, weil die Rente nicht für den Lebensunterhalt reicht. Insgesamt 40 Prozent sind berufstätig, weil sie sonst ihren Lebensstandard nicht halten können (Mehrfachnennung war möglich).
„Völlig abgehängt sind diejenigen, die es nicht schaffen, etwas dazu zu verdienen“, verdeutlicht IG BAU-Bundesvorsitzender Robert Feiger. Trotz jahrzehntelanger Arbeit rutschen sie in die Grundsicherung.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat sich die Zahl der Menschen, die im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind, zwischen 2003 und Anfang 2016 von 258.000 auf 536.000 mehr als verdoppelt. „Sie sind die größten Verlierer einer verfehlten Rentenpolitik“, betont Feiger.
Nur wenige schaffen es
Gerade in körperlich anstrengenden Berufen schafft es nur ein Bruchteil der Beschäftigten, bis zum regulären Renteneintrittsalter zu arbeiten. Das belegen auch die Daten der bundesweit repräsentativen Beschäftigungsbefragung zum DGB-Index Gute Arbeit für die Jahre 2012 bis 2016.
Nur knapp die Hälfte der Beschäftigten geht davon aus, ihre aktuelle Tätigkeit bis zur Rente ausüben zu können. Im Hoch- und Tiefbau sind es 25 Prozent, in den Ausbauberufen gerade einmal 16 Prozent.
Einer, der es nicht bis zum Renteneintrittsalter geschafft hat, ist Waldemar Enderich (63). Vor gut zehn Jahren musste er seinen Beruf als Maler und Lackierer, in dem er fast 40 Jahre gearbeitet hat, von heute auf morgen wegen Atembeschwerden aufgeben – Diagnose der Ärzte: Chronische Bronchitis.
Das ist ein Nervenspiel
„Ich habe nie geraucht, aber jahrzehntelang mit Farben und Lacken gearbeitet.“ Zunächst sieht es finanziell noch ganz gut aus. Waldemar erhält eine Erwerbsminderungsrente. „Doch nach einem halben Jahr wurde die wieder zurückgenommen. “Die Amtsärztin der Deutschen Rentenversicherung meinte,
sein Zustand habe sich so stabilisiert, dass er „leichte Bürotätigkeiten“ ausüben könne.
„Was die Theoretiker sich da so alles ausdenken. Wo sind denn diese Jobs?“ Zehn Jahre hält er sich mehr schlecht als recht über Wasser: Verbraucht sein Erspartes, verkauft seine Lebensversicherung, bezieht Hartz IV. Ein weiterer Schicksalsschlag: Scheidung nach 36 Ehejahren.
„Mein Haus musste ich zum Glück nicht verkaufen, weil es zu klein ist.“ Hinzu kommt die Ämterwillkür, viermal hat er mit Hilfe des DGB-Rechtsschutz Klage gegen Entscheidungen eingereicht. Der Antrag auf Anerkennung seines Leidens als Berufskrankheit wurde abgelehnt. „Das ist ein Nervenspiel - normalerweise müsste ich fix und fertig sein.“
Seit 1. November ist Waldemar Enderich Rentner, „zwangsverrentet“. 565 Euro Rente bekommt er im Monat, „15 Euro weniger als Grundsicherung“. Abschläge und Rentenansprüche seiner Ex-Frau haben zu dieser Minirente geführt. Die Zusatzrente von der Malerkasse macht die Situation nicht viel besser. „Das ist so, als hätte ich mein Leben lang nichts gearbeitet.“ Als „demütigend“ empfindet er oft seine Situation. „Aber ich schäme mich nicht, ich kann ja nichts dafür. Doch ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommt.“