Mythos 1: Wir müssen einen Feiertag streichen, um die Wirtschaft zu entfesseln
Das ist in mehrfacher Hinsicht Unsinn:
- Ein gestrichener Feiertag wird keinen Geldsegen bringen. Die Abschaffung des Buß- und Bettages in Deutschland 1995 hatte keinen nennenswerten Effekt.
- Feiertage sind wichtig für unsere kollektive Erholung und das gesellschaftliche Wohlbefinden. Die Forschung sieht das auch so. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hebt hervor, dass "sozial wertvolle Zeiten" wie Feiertage und Wochenenden entscheidend sind für die Erholung und das Miteinander. Sie bieten eine kollektive Auszeit, die im hektischen Alltag der 24/7-Gesellschaft dringend benötigt wird. Arbeitszeit-Spezialist*innen haben nachgewiesen, dass Beschäftigte ohne Wochenend- oder Feiertagsarbeit erholter und produktiver sind.
- Einen Feiertag abzuschaffen bringt nicht überall mehr Produktivität. Selbst der Milliardenbooster aus den Sondervermögen wird nicht überall die Nachfrage nach Arbeit erhöhen. Besonders im öffentlichen Dienst würde nicht mehr produziert, sondern einfach nur ein Tag mehr gearbeitet, was den Stress für die ohnehin überlasteten Beschäftigten in Pflegeheimen, Kliniken und Schulen nur verstärkt.
- Die Arbeitgeber haben es in der Hand, die Wirtschaft anzukurbeln, indem sie mehr Tarifverträge mit Gewerkschaften verhandeln und mehr aus- und weiterbilden. Zuerst und einzig bei den Beschäftigten zu sparen, ist der falsche Weg. Der Staat kann unterstützen, indem eine echte Reform der Schuldenbremse Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Krankenhäuser sowie sinkende Energiekosten ermöglicht.
Mythos 2: Wir müssen endlich wieder mehr arbeiten
Fakt ist: Wir arbeiten mehr als genug. Die durchschnittliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten liegt laut Statischem Bundesamt bei 40,3 Stunden und somit genau im EU-Durchschnitt. Die geleisteten Arbeitszeit Vollzeit betrug 2024 nach Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 1.584,8 Stunden. Gleichzeitig wurden laut Statista 638 Millionen Überstunden unbezahlt geleistet.
Übrigens: Du hast vielleicht auch schon eine andere Statistik gesehen, die Deutschland im OECD-Vergleich der Arbeitsstunden je Einwohner*in an viertletzter Stelle aufführt. Sie berücksichtigt auch Teilzeitkräfte und verzerrt das Bild, denn Deutschland hat mit 39 Prozent eine der höchsten Teilzeitquoten in Europa.
Mythos 3: Die Deutschen werden immer fauler, die Wochenarbeitszeit sinkt ständig
Die sinkende durchschnittliche Wochenarbeitszeit hat nichts mit Faulheit zu tun, sondern spiegelt den Anstieg der Teilzeitquote wider. Laut dem IAB, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, liegt sie mittlerweile bei 39 Prozent.
Viele Menschen (56 Prozent) arbeiten Teilzeit, weil sie familiäre oder pflegerische Verpflichtungen haben. Frauen sind besonders betroffen: Fast zwei Drittel (64 Prozent) arbeiten wegen Sorgearbeit in Teilzeit, bei Männern sind es nur 27 Prozent.
Gleichzeitig leisten viele Teilzeitkräfte deutlich mehr, als ihre Arbeitsverträge vorsehen: 25 Prozent von ihnen machen regelmäßig fünf oder mehr Überstunden pro Woche. Besonders in Berufen mit hohem Fachkräftemangel ist die Belastung enorm.
Übrigens: Viele Teilzeitkräfte würden ihre Arbeitszeit gerne aufstocken, wenn die Bedingungen stimmen würden, etwa im Bereich der Minijobs oder geringfügigen Beschäftigung. Das IAB hat berechnet, dass so bis 2035 das Äquivalent von bis zu 1,4 Millionen Vollzeitstellen erschlossen werden könnte. Doch ohne bessere Arbeitsbedingungen bleibt dieses Potenzial ungenutzt.
Mythos 4: Das Arbeitszeitgesetz ist zu starr
Nein, das Arbeitszeitgesetz bietet bereits heute hohe Flexibilität. Arbeitnehmer*innen können bis zu 10 Stunden täglich, 60 Stunden wöchentlich und bis zu 13 Tage am Stück arbeiten, sofern die Ruhezeiten eingehalten werden. Auch Modelle wie eine 4-Tage-Woche mit 40 Stunden sind möglich.
Zudem erlauben Tarifverträge weitere Ausnahmen, etwa verkürzte Ruhezeiten oder verlängerte Arbeitszeiten bei Bereitschaftsdiensten. Die Behauptung, das Gesetz sei unflexibel, ist nicht haltbar. Eine weitere Lockerung würde den Schutz der Beschäftigten gefährden, ohne einen echten Mehrwert zu schaffen.
Mythos 5: "Ich habe noch einen gültigen Arbeitsvertrag, die Abschaffung des 8-Stunden-Tags kann mir nichts anhaben"
Der 8-Stunden-Tag und die 10 Stunden-Grenze für Ausnahmefälle sind nicht einfach Regeln im Gesetz, sondern dienen dem Arbeitsschutz. Wenn diese Regelung fällt, ändert sich das Spiel – auch für bestehende Verträge:
Dein Vertrag schützt dich nicht automatisch.
Viele Arbeitsverträge verweisen auf das Arbeitszeitgesetz ("gesetzliche Bestimmungen gelten"). Häufig wird im Vertrag nur eine wöchentliche Arbeitszeit festgehalten, keine tägliche. Der Rest erfolgt durch "betriebliche Einteilung". Oft gibt es dazu Regelungen in Tarifverträgen, die näher durch betriebliche Interessenvertretungen ausgestaltet werden. Dort wo es keinen Betriebs- oder Personalrat gibt, kann das dein Arbeitgeber ohne eine Interessenvertretung festlegen. Wenn das Gesetz geändert wird, gelten die neuen Regeln – also auch für dich.
Längere Arbeitszeiten könnten erlaubt werden.
Dein Arbeitgeber dürfte dich dann aufgrund seines sog. Weisungsrechts gegebenenfalls auch 13 Stunden inklusive Pausen am Tag einteilen – ohne Zuschläge oder Extra-Erlaubnis.
Mehr Schutz, wenn dein Vertrag eine tägliche Arbeitszeit nennt.
Nur wenn in deinem Vertrag eine konkrete tägliche Arbeitszeit vereinbart ist, bist du besser geschützt: Dann kann der Arbeitgeber nur versuchen, den Vertrag mit dir einvernehmlich zu ändern, oder eine Änderungskündigung auszusprechen, die nur unter bestimmten Umständen zulässig ist. Es kommt immer auf die konkrete Formulierung im Arbeitsvertrag an.
Mehr Druck, weniger Schutz.
Wenn die tägliche Arbeitszeitgrenze fällt, wird’s schwieriger, sich gegen Arbeitszeiten von über 8 Stunden zu wehren – im Regelfall trotz Vertrag.
Fazit: Auch wer "einen guten Vertrag" hat, profitiert vom derzeitigen Gesetz. Wenn der 8-Stunden-Tag kippt, verlieren alle Beschäftigten ein Stück Sicherheit.
Mythos 6: Lange Arbeitszeiten sind unproblematisch
Lange Arbeitszeiten gefährden nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Demokratie. Wissenschaftliche Studien belegen, dass überlange Arbeitszeiten das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und psychische Erkrankungen erhöhen. Zudem steigt das Unfallrisiko exponentiell: Bei einem Arbeitstag von 12 Stunden erhöht es sich um 80 Prozent. Wer ständig arbeitet, hat zudem weniger Zeit für soziales und politisches Engagement – ein Verlust für die gesamte Gesellschaft.
Mythos 7: In Deutschland wird nicht mehr hart gearbeitet
Die Realität sieht anders aus: In Deutschland wird hart gearbeitet – oft zu hart. Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten berichten von einer zunehmenden Verdichtung ihrer Arbeit, so der DGB-Index "Gute Arbeit" 2024. Aufgaben müssen in immer kürzerer Zeit erledigt werden, die Anforderungen steigen stetig. Auch 78 Prozent der Betriebsräte bestätigen, dass die Arbeitsintensität in ihren Betrieben weiter zunimmt.
Unter solchen Bedingungen ist eine Ausweitung der Arbeitszeit weder machbar noch sinnvoll. Die Belastungsgrenze vieler Beschäftigter ist längst erreicht. Statt die Arbeitszeit zu verlängern, braucht es Entlastung und Maßnahmen, die die Arbeitsbedingungen verbessern, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu schützen.
Mythos 8: Die 4-Tage-Woche ist unrealistisch
Richtig umgesetzt kann die 4-Tage-Woche die Produktivität steigern und die Work-Life-Balance verbessern. Pilotprojekte zeigen: Beschäftigte sind zufriedener, gesünder und motivierter. Natürlich ist die Umsetzung von Branche zu Branche unterschiedlich. Mit klaren tariflichen Regelungen ist dieses Modell jedoch machbar und zukunftsweisend.
Wichtig ist, dass die Arbeitszeitverkürzung nicht zu einer höheren Belastung durch Verdichtung der Arbeit führt. Die 4-Tage-Woche ist kein Allheilmittel, bietet aber eine echte Chance, Arbeit und Leben besser in Einklang zu bringen.
Mythos 9: Längere Arbeitszeiten lösen das Problem des Fachkräftemangels
Das Gegenteil ist der Fall. Längere Arbeitszeiten verschärfen die Überlastung und führen dazu, dass Beschäftigte ihre Berufe verlassen. Dies zeigt sich besonders in der Pflege: Laut Sozialpolitik-Aktuell sind psychische Erkrankungen der häufigste Grund für Erwerbsminderungsrenten – ihr Anteil hat sich seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt. Höhere Arbeitszeiten belasten die Gesundheit und treiben viele Beschäftigte in die Erwerbsunfähigkeit. Ein Teufelskreis, der den Fachkräftemangel weiter verschärft.
Was wirklich hilft, sind bessere Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung und flexible Modelle, die es mehr Menschen ermöglichen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Dazu gehören auch gezielte Weiterbildungsangebote, eine bessere Ausbildung junger Menschen und eine faire Integration von Migrant*innen in den Arbeitsmarkt.
Der Mythencheck ist ursprünglich auf der Website des DGB erschienen.


