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Asbest, Pestizide, Quarzstaub: Dein Körper ist kein Mülleimer
Dann wiederum gibt es Gefahrstoffe, die erst beim Arbeiten entstehen, etwa beim Sägen und Aufklopfen. Heute wissen wir zwar um die Gefahr vieler Stoffe, dennoch wird die Gefahr in der Praxis zu oft beiseitegeschoben. Sie tritt nicht unmittelbar auf, sondern macht sich erst Jahre später bemerkbar. Dann aber mit teils tödlichen Folgen.
Tödliches Wundermittel
Asbest, einst als Wundermittel oder gar Baustoff der Zukunft betitelt, wurde in mehr als 3000 unterschiedlichen Produkten verarbeitet. Häufig im Brandschutz, denn die natürlich gewonnene Faser ist nicht brennbar. Später entdeckte man die hohe Bindefähigkeit des Stoffes, der fortan in Fensterkitt, Fliesenklebern, Spachtelmassen und Dämmungen eingesetzt wurde. Hier liegt auch das große Gefahrenpotential, denn eine Asbest-Wellplatte wird vielleicht noch als solche erkannt. Aber wer setzt sich mit der Materialeigenschaft einer alten Fuge oder eines Feinputzes auseinander?
Asbest in den Lungen kann Asbestose verursachen – die führt zu Lungenkrebs und ist jährlich für rund 88 000 Todesfälle in der Europäischen Union (EU) verantwortlich. Seit dem Jahr 1993 ist der Umgang mit Asbest verboten, dennoch gehen heute 80 Prozent aller berufsbedingten Krebserkrankungen in der EU auf Asbest zurück. In Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren 3376 Versicherte der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) infolge einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben. Wie kann das sein?
Späte Folgen
"Wenn ich in meiner Arbeitszeit, in meiner Jugend diese Gefahrenstoffe nicht ernstgenommen habe, ich zu leichtsinnig war, die Schutzmaßnahmen ignoriert habe, merke ich das erst 20 oder 25 Jahre später. Dann ist es aber zu spät", sagt Wolfgang Leihner-Weygandt, gelernter Maurer und mittlerweile pensioniert. Ob beim Spachteln oder Verputzen – Asbest war sein steter Begleiter im Berufsleben. Damals aber war das kein Thema. Weder gab es ein Bewusstsein für die Gefahren des Stoffes, noch Schutzmaßnahmen. 1995 wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. "Ich kann die Lunge nicht reinigen. Das heißt, die bösen Teile werden rausgeschnitten. Bei mir wurde ungefähr ein Drittel herausgeschnitten. Ich hatte Glück, ich gehöre zu den 20 Prozent, die überlebt haben." Heute richtet er seinen Appell an die Kolleg*innen: "Wenn Menschen an Asbest oder Quarzstaub sterben, dann ist das ein langer, qualvoller Tod. Soweit soll es nicht kommen. Deswegen musst Du Deine Lunge schützen! Staub gehört nicht zu unserem Leben – Staub macht uns krank! Deswegen saugen wir ihn ab oder schlagen ihn mit Wasser nieder. Schaffen wir das nicht, müssen wir uns persönlich schützen und Atemschutz tragen." Bei aller Selbstverantwortung gilt: Die Arbeitgeberseite muss letztlich für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu sorgen. Dazu gehört die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung genauso wie die Unterweisung der Beschäftigten und das Bereitstellen von geeigneter Schutzausrüstung. Und vor allem: Arbeiten mit Asbest dürfen nur von fachlich geeignete Personen durchgeführt werden!
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Wer macht den Asbest-Check?
Energetische Gebäudesanierung, Renovieren oder Bauen im Bestand – vor dem Hintergrund des Klimawandels und steigender Neubaukosten werden viele Häuser "angefasst". Wurde ein Haus vor 1993 gebaut, gilt nahezu immer: Hier lauert Asbest. Doch wer prüft das, bevor die Arbeiten beginnen? Die IG BAU hat bereits im Jahr 2023 öffentlichkeitswirksam vor einer "Asbestwelle" gewarnt und einen Forderungskatalog in Form der Asbest-Charta aufgestellt, unter anderem wird darin ein Asbest-Gebäudepass sowie ein Asbest-Kataster gefordert. Aktuell wird die sogenannte Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung behandelt. Im Klartext: Die Regeln zum Umgang mit gefährlichen Stoffen werden aktualisiert. Zentrale Forderung dabei: Der Bauherr muss vorab zu einer Asbesterkundung verpflichtet werden. Ein Asbest-Gebäudepass fasst Informationen über Asbestvorkommen im Gebäude zusammen und informiert über mögliche Gefahren, bevor das Gebäude "angefasst" wird. Am 18. Oktober wurde das Gesetz dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt*.
Mehr Kontrollen sind nötig
Als Dachdecker hat Robert Yates einen gefährlichen Beruf ausgeübt – dass die übelsten Gefahren aber im Verborgenen lagen, hat er erst viel später schmerzvoll am eigenen Leib erfahren müssen. "Ich wusste damals schon, dass in dem Flüssigkunststoff, mit dem ich gearbeitet habe, Styrol oder Benzol drin war", erinnert sich der 64-Jährige. "Aber alle haben gesagt, dass ist unbedenklich. Ich habe das geglaubt und mich nicht geschützt – heute bin ich schwer krank." Knochenkrebs. Die Wirbel wurden "weggefressen, sind kaputt gebröselt". Der ganze Rücken ist versteift, zwei Metallstangen sind in die Wirbelsäule eingeschraubt. "Ich kriege meine eigenen Schuhe nicht an, ich krieg meine Hose nicht an – ich brauch bei allem Hilfe." 30, 40 Jahre hat es gedauert, bis die Krankheit ausgebrochen ist. Rund 40 Chemobehandlungen und eine Stammzellentransplantation hat Robert hinter sich. Im Moment geht es ihm einigermaßen gut. Yates, der auch Vorsitzender der IG BAU-Bundesfachgruppe Dachdeckerhandwerk ist, fordert: Es muss mehr und bessere Arbeitsschutzkontrollen geben.
Doch der Kampf mit der Krankheit ist nicht der einzige, den die Betroffenen ausfechten müssen. Der Nachweis, dass es sich dabei um eine Berufskrankheit handelt, ist in den meisten Fällen schwierig und voller bürokratischer Fallstricke. Und wie will Mann oder Frau eigentlich beweisen, mit welchen schädlichen Stoffen sie gearbeitet haben? Was viele nicht wissen: Es gibt eine zentrale Expositionsdatenbank (ZED). Die Arbeitgeber sind verpflichtet, darin den Umgang mit Gefahrstoffen bei der Arbeit zu erfassen. Die dabei erfassten Daten müssen den Beschäftigten nach Ausscheiden aus dem Betrieb übergeben werden und sind auch dort noch zu sichern. Hierzu besteht auch die Möglichkeit, diese Daten in der ZED zu hinterlegen, die bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung eingerichtet ist (https://www.dguv.de/ifa/gestis/zentrale-expositionsdatenbank-zed/index.jsp). Die in der ZED gespeicherten Daten sind dauerhaft gesichert – unabhängig davon, ob ein Betrieb noch existiert oder die Beschäftigten die Unterlagen selbst noch verfügbar haben. Dies ist vor allem für die Suche nach arbeitsbedingten Ursachen einer Erkrankung relevant, beispielsweise wenn eine Berufskrankheit vorliegen könnte.
Krankmacher: Pestizide
Neu in die Liste der Berufskrankheiten soll das Parkinson-Syndrom durch Pestizide aufgenommen werden. Die Anerkennung kommt bei Menschen in Betracht, die Herbizide, Fungizide oder Insektizide mindestens 100 Tage in ihrem Berufsleben angewendet haben. Der Anwendungstag gilt unabhängig von der Tätigkeitsdauer an diesem Tag. Beschäftigte müssen selbst die Vor- und Nachbereitung der Pflanzenschutzmittel-Anwendung ausgeübt haben oder wurden mit dem Ausbringen der Pestizide beauftragt.
Das betrifft neben der Landwirtschaft auch Beschäftigte im Gartenbau, im Forst und in der Floristik. Sogar auf dem Bau wird bei Sanierungsarbeiten mit Pestiziden gearbeitet. Gerade im Sanitärbereich kommen häufig Baustoffe mit Anti-Schimmelmitteln zum Einsatz. Und die enthalten oft Pestizide.
Eine, die mit diesem Thema vertraut ist, ist Kathleen Kleinsorg, Betriebsrätin bei der KWS Saat SE und Co. KG aA und ehrenamtlich als Vorstandmitglied der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) unter anderen im Präventionsausschuss aktiv. "Mir ist das Thema Gesundheitsschutz sehr wichtig, denn das geht uns alle an." Deshalb haben sie und ihre Betriebsratskolleg*innen bei dem Agrarkonzern ein besonderes Augenmerk darauf. "Hier wird auf höchste Sicherheit geachtet." Auch von Seiten der Geschäftsführung, "in dieser Hinsicht ist KWS ein Vorzeigebetrieb": Elektronische Dokumentation beim Einsatz von Pestiziden, umfangreiche Schulungen der Beschäftigten und strenge Kontrollen, ob Vorschriften eingehalten werden, sind an der Tagesordnung. "Wer sich wie in welchem Bereich schützen muss, ergibt sich aus der Gefährdungsbeurteilung und aus den Gebrauchsanleitungen der Pflanzenschutzmittel." Das steht nicht nur auf dem Papier, das wird auch überprüft. "Wir machen regelmäßige Arbeitsschutzbegehungen." Und es liegt ja auch im eigenen Interesse der Beschäftigten, ihre Gesundheit zu schützen – kompromisslos.
In Firmen, die die Bestimmungen nicht einhalten oder in Sachen Gesundheitsschutz oft ein Auge zu viel zudrücken, sollte, nein muss der Betriebsrat auf sein Mitbestimmungsrecht pochen und die Kolleg*innen immer wieder auf mögliche Gefahren hinweisen. Auch wenn es vielleicht von Zeit zu Zeit lästig ist, den Bauhelm aufzusetzen, die Schutzausrüstung anzuziehen oder eine Atemmaske zu tragen – die möglichen Folgen sind noch viel lästiger. Wolfgang und Robert wissen wovon sie reden: "Passt auf Euch auf, die Gefahr ist unsichtbar. Wir haben nur eine Gesundheit!"
Text: Christiane Nölle und Tobias Wark
Der Beitrag erschien ursprünglich in der November-Ausgabe des Grundstein.