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Einigung von Unionsparteien und SPD: Kurzbewertung des Koalitionsvertrages aus Sicht der IG BAU

Reichstagsgebäude
(Foto: Nora Leonie / Unsplash)
23.04.2025
Arbeit

Nach Wochen intensiven Sondierens und Abstimmens haben sich CDU/CSU und SPD auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt. Aus Sicht der IG BAU steht der Vertrag nicht zuletzt für mehr Wohnungen, bessere Infrastruktur, stärkere Tarifbindung und stabile Renten. Das ist gut für Arbeitnehmer*innen. Jetzt gilt es, rasch die Probleme anzupacken. Gerade auch, um die absolute Überlegenheit der Demokraten gegenüber Rechtsextremisten deutlich zu zeigen.

1. Wohnungsbau

Die IG BAU begrüßt, dass der Koalitionsvertrag die Ankurbelung des Wohnungsbaus als vordringliche Aufgabe benennt und im 100-Tage Programm die Einführung eines "Wohnungsbau-Turbos" explizit erwähnt. Positiv ist auch, dass für kostengünstiges Bauen der EH55-Standard befristet wieder förderfähig gemacht, Bauvorschriften vereinfacht und der Gebäudetyp E eingeführt werden sollen.

Zielführend ist es, dass die KfW-Förderung zu zwei zentralen Programmen (Neubau und Modernisierung) zusammengeführt, Genossenschaftliches Wohnen gestärkt und die Wohngemeinnützigkeit durch Investitionszuschüsse ergänzt werden sollen.

Die Mietpreisbremse in angespannten Wohnungsmärkten soll zwar nicht wie von der IG BAU gefordert vollständig entfristet, aber wenigstens für vier Jahre verlängert werden.

Zum Sozialen Wohnungsbau enthält der Koalitionsvertrag leider nur die vage Absichtserklärung, dass er ausgeweitet und die Fördermittel "schrittweise deutlich erhöht" werden sollen. Hier wären verbindliche Zielzahlen und Fördervolumina dringend notwendig. Die IG BAU fordert ein Fördervolumen des Bundes in Höhe von mindestens elf Milliarden Euro pro Jahr.

Die im Zusammenhang mit der geplanten Abschaffung des "Heizungsgesetzes" (GEG) vorgesehenen Vereinfachungen und Härtefallregelungen sind sinnvoll, eine Rückabwicklung des GEG ist aus rechtlichen und klimapolitischen Gründen aber nicht möglich. Ein Zick-Zack-Kurs bremst Investitionen in den Wohnungsbestand aus.

Problematisch ist aus Sicht der IG BAU auch der für alle Maßnahmen im Koalitionsvertrag vorgesehene Finanzierungsvorbehalt.


2. Infrastruktur und Verkehr

Die IG BAU begrüßt das bereits durch Grundgesetzänderung ermöglichte Sondervermögen für Infrastruktur mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrensrechts für Infrastrukturvorhaben ("one for many"), der vorzeitige Maßnahmenbeginn in laufenden Planverfahren und die Entbehrlichkeit von Planfeststellungsverfahren bei Ersatzneubauten im Infrastrukturbereich sind grundsätzlich positiv zu sehen.

Aus Sicht der IG BAU ist es nur richtig, dass das Sondervermögen vorrangig Nachholbedarf bei Brücken und Tunnels in den Verkehrsnetzen finanzieren, es für die Autobahn GmbH eine verlässliche Finanzierung geben und Investitionen ins Schienennetz durch die Auflage von "Eisenbahn-Infrastrukturfonds" gesteigert und verstetigt werden sollen.

Kritisch sieht die IG BAU den vorgesehenen Stellenabbau in der Bundesverwaltung um insgesamt acht Prozent. Das darf nicht zu einer Schwächung der Planungs- und Genehmigungskapazität im Infrastrukturbereich führen. Auch der Einstieg privater Investoren in die Verkehrsinfrastruktur ist problematisch. Geschlossene Finanzierungskreisläufe (zum Beispiel Straße, Bahn) stellen aus Sicht der IG BAU Investitionen in die Schienennetze nicht in notwendiger Höhe sicher. Am Bundesverkehrswegeplan wird festgehalten, allerdings ist aus DGB- und IG BAU-Sicht ist eine Aktualisierung längst überfällig.


3. Stärkung der Tarifbindung, Tariftreue und Vergaberecht

Das Bekenntnis zu Tarifverträgen und zur Stärkung der Tarifbindung ist positiv hervorzuheben. Zentrales Vorhaben hierfür soll ein erneuter Anlauf für ein Bundestariftreuegesetz (BTTG) sein.

Als weitere positive Punkte zur Stärkung der Tarifbindung werden ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften sowie die attraktivere steuerliche Ausgestaltung von Gewerkschaftsbeiträgen genannt.

Andere gewerkschaftliche Forderungen wie eine Reform der Allgemeinverbindlichkeit, die konditionierte Allgemeinverbindlicherklärung oder ein gewerkschaftliches Verbandsklagerecht sind im Koalitionsvertrag leider nicht enthalten.

Das Vergaberecht soll auf nationaler und europäischer Ebene insgesamt vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert werden. Dies ist vor dem Hintergrund der erheblichen Investitionsbedarfe von Bund, Ländern und Kommunen konsequent. Die Heraufsetzung der Wertgrenze für Direktaufträge auf 50 000 Euro lehnen die Gewerkschaften ab. Die strukturellen Defizite des Vergaberechts lassen sich dadurch nicht beheben.

Tariftreue und die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien müssen aus Sicht der IG BAU bei der Verwendung öffentlicher Mittel in jedem Fall umfassend gelten und effektiv durchgesetzt werden.


4. Rente

Gut ist, dass eine Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2031 und für diese Wahlperiode keine Anhebung der Altersgrenzen beschlossen wurde sowie der abschlagsfreie frühere Rentenzugang bei 45 Beitragsjahren erhalten bleibt.

Allerdings fehlen jegliche Lösungsvorschläge wie etwa ein Altersflexi-Modell für die Beschäftigten, die – wie etwa am Bau – lange Jahre körperlich hart arbeiten und oft schon weit vor der Regelaltersgrenze aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr voll in ihrem Beruf arbeiten können.


5. Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge

Die neue Regierungskoalition möchte steuerliche Anreize für Mehrarbeit schaffen. Hierfür will sie Überstundenzuschläge steuerfrei stellen, soweit diese für Arbeit gezahlt werden, die über die Vollarbeitszeit hinausgeht.

Klar muss sein, dass für die gezahlten Zuschläge Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, damit besonders belastende Mehrarbeit auch zu höheren Leistungen aus den Sozialversicherungen für die Beschäftigten führt (zum Beispiel Rente, Krankengeld und Arbeitslosengeld) und zur Sicherung der Sozialversicherungssysteme beiträgt.

Bei der geplanten Steuerfreistellung ist dringend zu beachten, dass tarifliche Regelungen zu Arbeitszeitkonten (zum Beispiel in § 3 Ziff. 1.4 BRTV), die ein wichtiges Element zur Sicherung ganzjähriger Beschäftigung insbesondere in witterungsabhängigen Outdoor-Branchen darstellen, nicht an Attraktivität einbüßen. Für sie muss bei der Ausgestaltung eine steuergerechte Lösung gefunden werden.


6. Wochenarbeitszeit statt täglicher Höchstarbeitszeit

Die IG BAU lehnt die die im Koalitionsvertrag vereinbarte wöchentliche Höchstarbeitszeit strikt ab. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt wird. Unter Beachtung der elfstündigen Ruhezeit pro Tag wäre damit eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 13 Stunden möglich.

Besonders kritisch an diesem Vorhaben sind die Folgen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Es ist arbeitswissenschaftlich erwiesen, dass bei über acht Stunden hinausgehenden täglichen Arbeitszeiten das Risiko für Arbeitsunfälle exponentiell steigt.


7. Digitale Arbeitszeiterfassung

Die IG BAU begrüßt, dass die neue Bundesregierung in Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts die Pflicht zur elektronischen Erfassung der Arbeitszeit endlich gesetzlich regeln wird.


8. Gesetzlicher Mindestlohn und Bekämpfung von Schwarzarbeit

Positiv ist, dass sich die künftige Regierung zum gesetzlichen Mindestlohn bekennt. Dieser soll weiterhin durch eine unabhängige Mindestlohnkommission festgesetzt werden. Begrüßenswert ist auch, dass die Mindestlohnkommission sich künftig bei ihrer Gesamtabwägung auch an der Armutsschwelle (60 Prozent des Medianlohnes von Vollzeitbeschäftigten) orientieren wird. Auf diesem Wege soll ein Mindestlohn von 15 EUR erreichbar sein.

An verschiedenen Stellen wird formuliert, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit gestärkt werden soll. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Offen bleibt, wie dies geschehen soll.


9. Westbalkan-Regelung

Die neue Bundesregierung möchte die Migration nach Deutschland im Rahmen der sogenannten "Westbalkan-Regelung" auf 25 000 Personen pro Jahr begrenzen. Problematisch an der Gesamtkonzeption der Westbalkan-Regelung ist, dass sie keinen angemessenen sozialen Schutz für die nach Deutschland kommenden Drittstaatsangehörigen gewährleistet. Hierfür wäre die Einführung einer Tarifbindungsklausel notwendig, die sicherstellt, dass eine Zustimmung zur Beschäftigung nur erteilt wird, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist.

Eine Begrenzung des Kontingents geht damit am Grundproblem der Regelung vorbei. Problematisch ist nicht die Anzahl der nach Deutschland kommenden Beschäftigten, sondern die schlechten Arbeitsbedingungen, unter denen sie häufig arbeiten müssen.


10. Ausweitung der Saisonarbeit

Abzulehnen ist das Vorhaben, die sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung von Saisonarbeitskräften von 70 Arbeitstagen auf 90 Arbeitstage im Jahr auszuweiten. Saisonbeschäftigte werden überwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt und stammen meist aus Ost- und Südosteuropa.

Problematisch an der Regelung zur kurzfristigen Beschäftigung ist insbesondere, dass keine Sozialabgaben abgeführt werden. Die Sozialversicherungsfreiheit hat zur Folge, dass diese Beschäftigten keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung haben. Gruppenversicherungen gewährleisten in der Regel nur stark eingeschränkt eine notwendige medizinische Versorgung.

Die zeitliche Ausweitung der Sozialversicherungsfreiheit ist strikt abzulehnen. Stattdessen muss sichergestellt sein, dass auch Saisonbeschäftigte vollständig sozial abgesichert sind und insbesondere vollen Krankenversicherungsschutz haben.


11. Landwirtschaft

Die Koalition will für eine Stichtagsverlängerung bei der Tariflichen Zusatzrente der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft sorgen. Damit wird die aus Sicht der IG BAU dringend notwendige Grundlage für die Einführung der neuen Tarifrente Landwirtschaft geschaffen.

Die Koalition will sich für die Beibehaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) als eigenen Politikbereich, der bürokratieärmer gestaltet werden soll, einsetzen. Das begrüßt die IG BAU, allerdings müssen die arbeitsrechtlichen Instrumente wie zum Beispiel die Soziale Konditionalität ausgebaut werden.


12. Klima- und Naturschutz – Forst – Ländlicher Raum

Die IG BAU begrüßt, dass die Koalition die Klimaanpassungsstrategie umsetzen und dazu die bestehenden Förderprogramme effizienter ausrichten sowie Hochwasser- und Küstenschutzmaßnahmen beschleunigen wird.

Die Koalition steht zu einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung und zur Multifunktionalität des Waldes und will zugleich die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von klimaresilienten und artenreichen Mischwäldern mit standortgerechten Baumarten verbessern.

Dieser notwendige Waldumbau erfordert flächendeckend das Engagement von qualifiziertem und gut bezahltem Fachpersonal. Die Investition in ausreichend Fachpersonal sowie attraktive Bedingungen für Nachwuchskräfte ist und bleibt unerlässlich.

Die Koalition möchte Potenziale für eine Stärkung des ländlichen Raums erschließen und dazu gezielt EU-, Bundes- und Landesmittel einsetzen. Attraktive ländliche Räume sind wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die Akzeptanz unserer Demokratie. Wir befürworten diese Investitionsvorhaben. Fördermittel dürfen dabei nur an tarifgebundene Betriebe vergeben werden.