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Energetische Gebäudesanierung: Weiterbildung noch Mangelware

Sanierung
(Foto: Milivoj Kuhar / Unsplash)
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Milivoj Kuhar / Unsplash

06.09.2022
Wohnungsbau

Auf dem Wohnungsmarkt soll sich in den kommenden Jahren einiges tun. Besonders die "Energetische Gebäudesanierung" steht im Fokus. Energie sparen – dem Klima und dem Geldbeutel zuliebe. Aber sind wir beziehungsweise die Beschäftigten in den jeweiligen Branchen darauf überhaupt vorbereitet?

Fachkräftemangel herrscht überall im Handwerk. Sei es wegen fehlender Nachwuchskräfte oder mangelnder Weiterbildung der Beschäftigten. Gerade im Bereich "Energetische Gebäudesanierung" ist besonders letztere absolut notwendig, aber bislang Mangelware. Obwohl die wachsende Bedeutung und staatliche Förderung zu spezifischem Aus- und Weiterbildungsbedarf in ausführenden Handwerken führt – vor allem bei Maler- und Lackierer*innen sowie im Dachdeckergewerbe. Das Hauptproblem dabei: Klein- und kleinstbetrieblich geprägte Handwerke sind dazu nur begrenzt selbst in der Lage. Zudem haben Gespräche mit Arbeitgeberverbänden über tarifliche Regelungen von beruflicher Weiterbildung bisher zu keinem Ergebnis geführt.

Was das in der Praxis bedeutet, zeigt folgendes Beispiel: Die Weiterbildung von Arbeitnehmer*innen bezüglich Montage von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) ist bislang weder gesetzlich noch tariflich hinreichend geregelt. In der Praxis läuft das dann oft auf "Schnell-Schulungen" hinaus, die Baustoff-Hersteller anbieten. Darin wird nur die Montage einzelner Produkte erklärt, aber nicht die notwendigen, umfassenderen Kenntnisse zu Thermik und Bauphysik, Brandschutz, Entlüftung  et cetera vermittelt. Trotzdem greifen viele Handwerksbetriebe gerne darauf zurück, weil es die "billigere" Lösung ist.

Darüber hinaus tummeln sich oft unqualifizierte, nicht innungs-/tarifgebundene Betriebe (auch infolge der Aufweichung der Handwerksordnung) in diesem Geschäftsfeld. Für Endverbraucher*innen ist die Qualität des Angebots aber nur schwer nachvollziehbar. Das Ergebnis mitunter: Pfusch am Bau, der dem Image des Handwerks nicht zuträglich ist.

Abhilfe ist dringend notwendig. Vor allem, weil es auch Druck seitens der Politik gibt – genauer gesagt aus der Europäischen Union (EU): Im Oktober 2020 hat die EU-Kommission einen Aktionsplan zur "Renovierungswelle" im Gebäudebereich zur Erreichung der Klimaziele vorgelegt. Die Strategie benennt die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im Baugewerbe ausdrücklich als eines der Handlungsfelder.

Zusätzlicher Handlungsbedarf ergibt sich aus der Ende 2021 vorgestellten europäischen Green Deal-Initiative, wonach die am schlechtesten abschneidenden 15 Prozent des Gebäudebestands der einzelnen Mitgliedsstaaten bis 2030 so weit modernisiert werden müssen, dass Wohngebäude statt der schlechtesten Energieeffizienzklasse zumindest die nächstbessere Effizienzklasse erreichen sollen. Bis zum Jahr 2033 sollen dann weitere 15 Prozent des Gebäudebestandes um mindestens eine Energieeffizienzklasse "aufsteigen". Zusammengenommen wären von diesen Vorgaben circa 2,4 Millionen Gebäude in Deutschland betroffen.

Um diese Aufgaben zu stemmen, braucht es nicht nur zahlreiche neue Kolleg*innen im Bauhandwerk (Dachdecker*innen, Maler*innen und Lackierer*innen, Hochbau) sowie im Bereich Bauinstallation (Heizungs- und Elektroinstallation), sondern auch eine Weiterbildungsoffensive, um die bereits Berufstätigen optimal auf die anstehenden Aufgaben vorzubereiten. Für uns ist klar: Das kann nur über tarifvertragliche Regelungen zur Weiterbildung und eine Stärkung und Weiterentwicklung der beruflichen Ausbildung unter Beteiligung der Gewerkschaften gelingen. Doch bislang haben Gespräche zwischen IG BAU und dem jeweiligen Arbeitgeberverband zu diesem Thema wenig bis gar nicht gefruchtet.

Viele Firmen sehen immer noch keine Notwendigkeit, ihre Beschäftigten weiterzubilden. Zwingen kann man sie nicht, aber den Druck erhöhen. So wäre beispielsweise überlegenswert, die Förderfähigkeit energetischer Sanierungsmaßnahmen (ab einer bestimmten Größe des Auftrags oder Vorhabens) daran zu knüpfen, dass die ausführenden Betriebe entsprechende Qualifizierungen nachweisen können. Vielleicht über ein Zertifikat, das bei regelmäßiger Teilnahme von Betrieben an Weiterbildungsmaßnahmen ausgestellt wird. Wie auch immer die Lösungen letztendlich im Detail aussehen, sie müssen bald auf dem Tisch liegen.

Text: Jonathan Diesselhorst/Christiane Nölle
Der Artikel ist ursprünglich in der Juli/August-Ausgabe des "Grundstein" erschienen.

Das will die IG BAU

  • Qualifizierung trägt zur Sicherung von Beschäftigung bei. Arbeitnehmer*innen können direkt in Form von Lohnsteigerungen, beispielsweise durch höhere Eingruppierung, profitieren.
  • Eine umfassende Förderung von energetischer Modernisierung des Gebäudebestands in Höhe von circa 30 Milliarden Euro pro Jahr, davon mindestens 10 bis 15 Milliarden Euro zweckgebunden für sozialverträgliche Sanierungen von Mietwohnungen mit Sozialbindungen. Die Förderprogramme der öffentlichen Hand müssen zudem stärker als bisher an der Einsparung von CO2-Emissionen orientiert werden.
  • Um flächendeckende Weiterbildungsmaßnahmen auch in kleineren Betrieben zu erreichen, braucht es eine branchenübergreifende, überbetriebliche Regelung zur beruflichen Weiterbildung für Energetische Gebäudesanierung.
  • Darüber hinaus müssen auch an Hochschulen deutlich mehr  Architekt*innen und (Bau-)Ingenieur*innen in den Bereichen  Gebäudeeffizienz und Gebäudetechnik ausgebildet werden.  Die komplexer werdenden Maßnahmen erfordern nämlich auch umfangreichere Planungsleistungen.