Forschung PECO
09.06.2022
Bildung / Mitbestimmung

"Der ostdeutsche Agrarbereich 1989 bis 2000. Privatwirtschaftliche Transformation und gewerkschaftliche Intervention" lautet der Titel des dreijährigen Forschungsprojekts bei der Hans-Böckler-Stiftung.

Im Forschungsverbund "Wendezeiten – Einfluss und Strategie von Gewerkschaften in der ostdeutschen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft" erforscht das PECO-Institut, in Kooperation mit der Hochschule Neubrandenburg (Prof. Theo Fock) und dem Bonner Historiker Rainer Fattmann, seit August vergangenen Jahres die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der politischen Wende 1989/1990 im ostdeutschen Agrarbereich. In den Blick genommen werden dabei die Liquidation und Privatisierung der ehemals Volkseigenen Güter (VEG) durch die Treuhandanstalt und die noch zu DDR-Zeiten in die Wege geleiteten und gesetzlich vorgegebenen Umwandlungen der Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG).

Gefragt wird auch nach der Vorgeschichte der ostdeutschen Agrarwirtschaft und der Lebenswelt der dort Beschäftigten in den LPG und VEG. Wie erlebten die Menschen in der ostdeutschen Landwirtschaft vor diesem Hintergrund den abrupten, auch in der Landwirtschaft von einem Verlust an Arbeitsplätzen und sozialen Strukturen begleiteten Wandel ab 1989/90?

Dreißig Jahre nach der politischen Wende untersuchen wir zudem die gewerkschaftlichen Strategien der damaligen Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GGLF) (ab 1996 der IG BAU) der bald einsetzenden Massenarbeitslosigkeit und dem Abbau der soziokulturellen Infrastruktur in den landwirtschaftlichen Betrieben, Dörfern und ländlichen Regionen etwas entgegenzusetzen.

Zur gewerkschaftlichen "Wende" gehört dabei auch, dass die westdeutsche GGLF schon vor dem Mauerfall mit der ostdeutschen (Agrar-)Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst (GNLF) kontinuierlich Kontakt gepflegt hatte und so der Zusammenschluss beider Organisationen am 23. September 1990 reibungslos vollzogen werden konnte. Zeitgleich wurden auf einer gemeinsamen Arbeitskonferenz in Bogensee sehr früh zukunftsweisende Forderungen hinsichtlich der Entwicklung des ländlichen Raums in den neuen Bundesländern, zur Tarif-, Sozial- und Bildungspolitik sowie zur Jugend- und Frauenarbeit formuliert.

Neben der Durchsicht von vielen GGLF-Geschäftsberichten, Archivarbeit und umfangreicher Literaturrecherchen werden die Forschungsfragen auch mit den Aussagen und der Auswertung von Zeitzeugeninterviews angegangen und zu beantworten versucht. Dafür werden Gruppendiskussionen mit ehemaligen Beschäftigten des Förderwerks Land- und Forstwirtschaft, dem Qualifizierungsfond und Kolleginnen und Kollegen der regionalen GGLF-Ebene ab dem Spätsommer durchgeführt.

Auf einer anderen Ebene erfolgen Interviews mit gewerkschaftlichen Entscheidungsträger*innen, die die turbulente Umbruchszeit miterlebt und zum Teil auch wesentlich beeinflusst haben. Einer davon ist Hajo Wilms, der 1989 Abteilungsleiter und ab 1993 Vorsitzender der GGLF war und der 1996, nach der Fusion von GGLF und IG BSE zur IG BAU, deren stellvertretender Vorsitzender wurde.

In mittlerweile zwei Interviews sind viele persönliche Eindrücke, gewerkschaftliche Entscheidungen und Interventionen aus seiner Sicht erzählt und von uns dokumentiert worden. Sie komplettieren die Forschungsarbeit. Hajo gab Auskunft über seine Eindrücke über die Rolle der GGLF vor der Wende und die zwischengewerkschaftlichen Kontakte im Vorfeld der Wiedervereinigung. Er berichtete über die politische Umbruchssituation 1989/91 und die Diskussion innerhalb der GGLF (West) und vor dem Zusammenschluss mit der GNLF (Ost), über die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die gewerkschaftliche Arbeit und anschließend auch über die Tarifpolitik mit der Treuhand zu Beginn der 1990er-Jahre. In einem weiteren Interview in 2023 wird auch die Arbeit des Förderwerkes, des QLF und die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeberverband Thema sein.

Bis dahin wird weiter geforscht, recherchiert, interviewt und dokumentiert und ab und zu ein aktueller Beitrag für den Newsletter geschrieben.

 

Über aussagekräftige Dokumente und Materialien aus der Agrarwendezeit, die sie für die Forschungstätigkeit nutzen können, freuen sich die Kolleg*innen beim PECO-Institut.

Bitte an

PECO-Institut
z.Hd. Inge Bieler
Luisenstrasse 38
10177 Berlin 

schicken.

Oder unter [Bitte aktivieren Sie Javascript] direkt kontaktieren.

Hajo Wilms
(Foto: Inge Bieler) Zeitzeuge Hajo Wilms, ab 1993 GGLF Vorsitzender und ab 1996 stellvertretender Vorsitzender der IG BAU.