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So viel IG BAU steckt im Koalitionsvertrag

Ampel
(Foto: Kai Pilger / Unsplash)
11.03.2022
Service

Die Ampel-Koalition steht, die neue Regierung hat in Berlin ihre Arbeit aufgenommen und die politischen Weichen bis 2025 gestellt. Welche  unserer Forderungen sind im Koalitionsvertrag, und wo sehen wir und die anderen DGB-Gewerkschaften Nachholbedarf? Hier einige Beispiele:

Bauen und Wohnen

Positiv hervorzuheben ist, dass es nun ein eigenständiges Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen mit Klara Geywitz (SPD) an der Spitze gibt. "Endlich, das Thema Bauen wird nicht länger als willkürliches Anhängsel anderer Ministerien herumgeschleift, das freut mich sehr. Ein eigenständiges Bauressort zu schaffen war längst überfällig – nicht nur wegen des Mangels an bezahlbarem Wohnraum, sondern auch wegen des Investitionsstaus bei der öffentlichen Infrastruktur", betont IG BAU-Bundesvorsitzender Robert Feiger. Der Koalitionsvertrag formuliert das Ziel, jährlich 400 000 Wohnungen, davon 100 000 öffentlich gefördert, zu errichten. Damit wurde eine unserer zentralen Forderungen aufgegriffen. Dies ist insofern positiv, weil eine solche politische Zielsetzung die Planungssicherheit für Betriebe und Beschäftigte der Bauwirtschaft erhöht. Es ist aber auch in Anbetracht der sowohl materiellen als auch personellen Engpässe eine echte Herausforderung. Die anvisierte deutliche Steigerung des geförderten Wohnungsbaus ist eine sehr positive Nachricht. Allerdings beinhaltet die Zahl von 100 000 geförderten Wohnungen auch solche aus Eigentumsmaßnahmen, sodass abzuwarten sein wird, ob im Ergebnis tatsächlich der von der IG BAU geforderte Netto-Zuwachs an Sozialmietwohnungen erreicht wird.

Statement: Tessa Ganserer, IG BAU-Mitglied, Bündnis 90/Die Grünen, seit 2021 Mitglied des Bundestags

Tessa Ganserer
(Foto: Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski)

Seit meiner Berufsausbildung zur Forstwirtin vor demnächst 30 Jahren bin ich Mitglied der IG BAU. Ihr könnt also versichert sein, dass mir Arbeitnehmerinteressen sehr am Herzen liegen. Dazu gehört nicht nur die Forderung nach einem armutsfesten Mindestlohn. Auch die Maßnahmen zum Klimaschutz und die notwendige ökologische Transformation der Wirtschaft müssen sozialverträglich ausgerichtet werden. Als Mitglied im Umweltausschuss werden der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen, Naturschutz, Bodenschutz und Nachhaltigkeit Schwerpunkte meiner politischen Arbeit.  Gerade in diesen Zeiten sollten wir unser Augenmerk auf ein gedeihliches gesellschaftliches Miteinander richten. Kein Mensch soll aufgrund gruppenbezogener Merkmale Abwertung, Ausgrenzung, Benachteiligung oder Gewalt erfahren. Deshalb ist mir der Einsatz gegen Diskriminierung und für die Akzeptanz von queeren Menschen ein echtes Herzensanliegen. Dazu gehört auch die Abschaffung des entwürdigenden Transsexuellengesetzes und ein selbstbestimmter Geschlechtseintrag.

Klimaschutz

Die Ampel-Koalition hat ein weitreichendes und ambitioniertes Paket geschnürt, um die sozial-ökologische Transformation hin zur Klimaneutralität aktiv zu gestalten. Sie bekennt sich zu einer sozialökologischen Marktwirtschaft, in der der Staat durchaus aktiv und gestaltend eingreift. Dass gute Arbeit und industrielle Wertschöpfung in der Transformation gesichert werden sollen, ist in jedem Fall zu begrüßen – trotz verschärften Tempos für den Umbau, dass Deutschland auf einen "1,5-Grad-Pfad" bringen soll. Die von der Großen Koalition gesetzten langfristigen Klimaziele für 2030 und 2045 werden durch die Ampel mit der Ankündigung von umfassenden Maßnahmenvorschlägen in den einzelnen Handlungsfeldern hinterlegt. Dabei sind insbesondere der massive Ausbau Erneuerbarer Energien und der forcierte Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland hervorzuheben. Der Kohleausstieg soll idealerweise schon 2030 erfolgen, sofern die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen dies zulassen. Die regionale Bedeutung der Transformation wird vielfach aufgegriffen und mit Vorschlägen zur Begleitung hinterlegt. Damit werden Forderungen aus der DGB-Transformationscharta wie demokratische und regionale Beteiligungsformate sowie eine Stärkung von guter Arbeit, Tarifbindung und Qualifizierung im Wandel aufgegriffen. So soll unter anderem im Dialog mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden eine Allianz für Transformation geschmiedet werden. 

Statement: Martin Kröber, IG BAU-Mitglied, SPD, seit 2021 Mitglied des Bundestags

Für das aus meiner Sicht wichtigste Vorhaben unserer Koalition wird bereits hart gearbeitet: Der Mindestlohn von 12 Euro. Er wird zehn Millionen Menschen sofort mehr Geld bringen. In meinem Bundesland Sachsen-Anhalt betrifft die schlagartige Lohnerhöhung knapp 84 000 Vollzeitbeschäftigte – in Teilzeit werden es noch viel mehr sein. Wir brauchen einen bezahlbaren öffentlichen Verkehr, der auf die Bedürfnisse von Pendlerinnen und Pendlern zugeschnitten ist. Dafür streite ich als Mitglied des Verkehrsausschusses im Bundestag. Außerdem möchte ich, dass Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, auch im Alter gut und sicher leben können. Wir haben in der Koalition Diskussionen zur Anhebung des Renteneintrittsalters eine klare Absage erteilt. Das ist gut und richtig so. Wir wollen und wir müssen schneller bezahlbaren Wohnraum schaffen. Aber: Wenn wir bauen, müssen wir darauf achten, dass es auf der Baustelle fair zugeht. Deshalb werden wir die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines für die Branche repräsentativen Tarifvertrages binden.

Martin Kröber
(Foto: Photothek)

Tarifbindung/Mitbestimmung

Die getroffenen Vereinbarungen zur Tarifbindung beinhalten positive Punkte, aber auch Enttäuschungen. Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden soll. Das Bundestariftreuegesetz kann zu höheren Löhnen, kürzeren Arbeitszeiten und besseren Arbeitsbedingungen für Millionen Beschäftigte beitragen. Die angekündigte Nachwirkung von Tarifverträgen bei Betriebsausgliederungen kann die Tarifflucht der Unternehmen eindämmen. Auch ist zu begrüßen, dass auf Tarifverträge als Ganzes und nicht nur auf die Entlohnungsbedingungen Bezug genommen wird. Wichtig sind dabei aber gleichzeitig klare und effektive Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen, damit die Regelung nicht ins Leere läuft. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat zudem angekündigt, mit einer Verschärfung des Strafrechts die Bildung von Betriebsräten auch gegen den Widerstand von Arbeitgebern zu erleichtern. Stört oder behindert dieser Betriebsratsgründungen kann die Justiz künftig von Amts wegen einschreiten, kündigte der SPD-Politiker in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen" an.

Mindestlohn

Dass der Mindestlohn im Oktober auf 12 Euro steigen soll, ist richtig und bedeutet eine ordentliche Lohnerhöhung, die für eine spürbare wirtschaftliche Belebung sorgen wird. "Insgesamt wird es zu einem Kaufkraftzuwachs von rund 9,8 Milliarden Euro im Jahr führen", betont IG BAU-Bundesvorsitzender Feiger, der auch Mitglied der Mindestlohnkommission ist. Er verwies dabei auf eine volkswirtschaftliche Mindestlohn-Untersuchung, die die IG BAU beim Pestel-Institut (Hannover) in Auftrag gegeben hat. Kritikpunkte: Jugendliche unter 18 Jahren und Langzeitarbeitslose dürfen, wenn sie einen Job antreten, nicht länger ausgeschlossen bleiben. Zudem ist der Kontrolldruck auf "schwarze Schafe" zu niedrig, eine massive Aufstockung des Personals der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) dringend notwendig.

Statement: Jens Zimmermann, IG BAU-Mitglied, SPD, seit 2013 Mitglied des Bundestags

Jens Zimmermann
(Foto: Marlene Bleicher)

Respekt, Chancen und Absicherung in der modernen Arbeitswelt. Das ist ein Kernthema der Sozialdemokratie und unseres gemeinsamen Koalitionsvertrags für die nächsten vier Jahre. Als digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ist mir die Unterstützung der Menschen im digitalen Wandel besonders wichtig. Wir haben uns dafür ambitionierte Ziele gesteckt. Wir wollen, dass alle sich in der Digitalisierung zurechtfinden und an der digitalen Gesellschaft teilhaben können. Dafür soll es jederzeit im Berufsleben die Möglichkeit einer Weiterbildung geben. Gleichzeitig wollen wir faire Arbeitsbedingungen und gute Löhne. Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen bei digitalen Plattformen wollen wir verhindern. Für alle, die das Homeoffice nutzen können und möchten, soll dies möglich sein. Jede Arbeit verdient Respekt und Anerkennung. Wir erhöhen den Mindestlohn und schaffen ein modernes Arbeitsrecht, das Sicherheit und fair ausgehandelte Flexibilität ermöglicht.

Minijobs

Völlig verfehlt ist die Anhebung der Hinzuverdienstgrenze von Minijobs auf 520 Euro. Diese sind für viele Menschen – vor allem für Frauen – eine Falle und verdrängen sozial abgesicherte Arbeitsplätze. Wir fordern seit Langem eine Minijobreform, mit der die kleinen Teilzeitarbeitsverhältnisse von Anfang an in die Sozialversicherung einbezogen werden.

Sachgrundlose Befristung

Unzureichend ist es, die sachgrundlose Befristung nur für den Öffentlichen Dienst zu begrenzen und das auch nur halbherzig. Sie muss auch – und zwar ambitioniert – für die private Wirtschaft abgeschafft werden.

Rente

Laut Vertrag will die Ampel-Koalition das Renteneintrittsalter nicht erhöhen und das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent dauerhaft festlegen. Das ist begrüßenswert. Darüber hinaus muss aber die betriebliche Altersvorsorge gestärkt und attraktiver gestaltet werden. Hier bleibt die Ampel zu vieles schuldig. 

Statement: Dr. Nina Scheer, IG BAU-Mitglied, SPD, seit 2013 Mitglied im Bundestag

Im Koalitionsvertrag wurde das Ziel vereinbart, ab 2025 jede neu eingebaute Heizung auf Basis von mindestens 65 Prozent Erneuerbarer Energien zu betreiben. Für Neubauten ist der EH 40-Standard vorgesehen. Bereits in diesem Jahr werden mit einem Klimaschutzsofortprogramm bedeutende Schritte auf den Weg gebracht. Nachhaltige Investitionen erfordern auch den schnellstmöglichen Umstieg auf Erneuerbare Energien und Ressourcen. Der Ausbau Erneuerbaren Energien liegt dabei im überragenden öffentlichen Interesse. Auch darauf haben sich die Koalitionspartner verständigt. Die aktuelle Energiepreisentwicklung, wie sie maßgeblich über fossile Rohstoffmärkte angetrieben wird, zeigt, dass die Abhängigkeit der Energieversorgung von fossilen Ressourcen zunehmend auch zu einer sozialen Frage wird. Demgegenüber wird die Gewinnung von Erneuerbaren Energien immer kostengünstiger. Mit nachhaltigen Investitionen verbunden sind vielfältige Chancen auch für die Zukunft von Arbeit und Wertschöpfung vor Ort. Dem Austausch mit den Gewerkschaften kommt bei der Entwicklung dieses Weges eine große Bedeutung zu.

Nina Scheer
(Foto: kai-treffan-fotografie)