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Sylvia Honsberg zum Ehrenmitglied der Bundesarbeitsgruppe (BAG) Grundeinkommen gewählt
In ihrem Schreiben an die BAG bezieht Sylvia Honsberg Position:
Liebe Freund*innen,
ich war sehr überrascht und habe mich riesig gefreut, dass Ihr mich als Ehrenmitglied 2020 der Bundesarbeitsgemeinschaft in und bei der Partei DIE LINKE gewählt habt. Es ist für mich nicht nur eine Anerkennung meiner langjährigen Arbeit als IG BAU Bundesfrauensekretärin, sondern viel mehr noch eine große Wertschätzung des Einsatzes der IG BAU Frauen insgesamt für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE).
Innerhalb unserer eigenen Organisation wird die Diskussion über ein BGE seit dem letzten Gewerkschaftstag im Herbst 2017 "ergebnisoffen" geführt. Angesichts der gegenwärtigen Situation – nicht nur in unserem Land – drängt aber die Zeit, in allen Gewerkschaften wie auch im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) die pauschale Abwehrhaltung aufzugeben und stattdessen eine breite, konstruktive Auseinandersetzung über ein BGE und seine Gestaltung zu führen.
Neulich habe ich in einem Video von den schon fast verzweifelten Anstrengungen einer Tanzlehrerin erfahren, die bei Einhaltung aller derzeitigen Einschränkungen aufgrund des Corona-Virus versucht, ihre Schule wieder zu öffnen. Das ist kaum möglich und rechnet sich finanziell überhaupt nicht.
Und das ist nur ein Beispiel von Hunderttausenden, wahrscheinlich sogar Millionen von Menschen in unserem Land, die derzeit ihre finanzielle Existenzgrundlage verloren beziehungsweise entzogen bekommen haben. Künstler*innen und alle die im Kulturbereich oder in der Bildung selbstständig arbeiten oder abhängig beschäftigt sind, Dienstleister*innen, Geschäfte, Restaurants, die Tourismusbranche, Beschäftigte in Kurzarbeit, zunehmend Erwerbslose und, und, und…
Die Auswirkungen der "Corona-Krise" sind noch gar nicht absehbar. Sie gefährden jetzt schon massiv den sozialen Frieden im Land. Die Angst vor dem finanziellen Abgrund bereitet mittlerweile viel mehr Menschen schlaflose Nächte als die Befürchtung, sich vielleicht mit dem Virus anzustecken und daran schwer zu erkranken. An dem aufwändigen und teilweise entwürdigenden Prozess, staatliche Hilfe über Hartz IV zu erhalten, hat sich entgegen aller Ankündigungen nichts verändert. Die psychischen Belastungen fehlender finanzieller Sicherheit werden wahrscheinlich mehr Menschen krank machen als Corona. Menschlicher ist unser Sozialsystem leider nicht geworden.
Jetzt, gerade jetzt, wird absolut deutlich, wie dringend wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) brauchen.Wieviel leichter wäre das Leben all dieser Betroffenen, wenn für sie zumindest eine bescheidene gesellschaftliche Teilhabe gesichert wäre? Sie ihre Miete, Versicherungen, ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie auf jeden Fall bezahlen könnten.
Viele sind ja kreativ und suchen nach Lösungen. Meine Freund*innen in der gewerkschaftlichen Erwachsenbildung arbeiten mehr als je zuvor, lernen die Techniken von Online-Seminaren und virtuellen Konferenzen, entwickeln entsprechende Konzepte und hoffen auf neue Aufträge. Ich kenne die Leiterin einer Boutique, die seit Monaten nächtelang ganz besonders hübsche Masken näht und versucht, diese zu verkaufen. Ich erlebe aber auch in meiner Nachbarschaft Mütter, die durch die Organisation von Home-Office, Kinderbetreuung und -unterrichtung, Zusammenbruch von Pflegearrangements und ständig wechselnde Anforderungen am Ende ihrer Kräfte sind.
Keine* davon würde sich bei der Absicherung durch ein BGE in die berüchtigte, imaginäre, soziale Hängematte legen. Aber sie würden wahrscheinlich ruhiger schlafen können. Und weiterhin kreativ sein!
Das Recht auf Existenzsicherung und gesellschaftliche Teilhabe ist seit 1948 in der Charta der Menschenrechte verankert und ist Bestandteil unseres Grundgesetzes in Deutschland. Weltweit steht in zahlreichen Verfassungen, dass die Wirtschaft dem Gemeinwohl zu dienen hat.
Sogar in der Bayrischen Verfassung heißt es ausdrücklich im Art. 151:
- Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesonders der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.
Die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen ist keine spleenige Idee eines utopischen Paradieses auf Erden, sondern nicht mehr, aber auch nicht weniger, als ein notwendiger Schritt zur Verwirklichung der rechtlichen Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft.
Sehr geschickt lenken die Medien der Herrschenden den Fokus auf vermeintliche Schmarotzer und Faulenzer am unteren Ende der Gesellschaft. Sie leben angeblich auf unsere Kosten. Kritik an denjenigen, die sich tatsächlich an der gesellschaftlichen Arbeit bereichern, wird als "Sozialneid" diffamiert. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft mittlerweile in einem unerträglich schmerzhaften Maß auseinander. Sie zerreißt jegliche Gemeinschaft.
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde über eine veränderte Besteuerung von Einkommen zu einer Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums beitragen. Wenn wir wirklich soziale Gerechtigkeit wollen, dann ist das BGE ein wichtiger Teil der Lösung.
Vielleicht eröffnet die derzeitige Krise ja die Chance, dass mehr Menschen endlich nachdenken und erkennen, dass jegliches "Weiter-So" wie ein vollbesetzter Bus ist, der führungslos und ungebremst auf eine Mauer zurast. Und ich hoffe, dass sie eingreifen und den Bus umlenken.
Es gibt ja schon viele Engagierte und gute Netzwerke, die sich auf nationaler und europäischer Ebene für ein BGE einsetzen, mit der Europäischen Bürgerinitiative, den Bestrebungen eines Mitgliederentscheids in der Partei DIE LINKE, dem prominent besetzten Utopie-Kongress vom 25. bis 29. August 2020 und, und, und… Vieles ist durch die Corona bedingten Einschränkungen sehr erschwert, und die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens ist noch nicht in der gesamten Öffentlichkeit angekommen. Es wird auch viel zu oft verwechselt mit neoliberalen Konzepten, ähnlich klingenden Worten wie der Grundrente oder experimentellen Versuchen wie beispielsweise in Finnland, die letztlich fast nichts mit dem Gedanken eines grundsätzlichen Rechts auf Existenzsicherung und seiner solidarischen Finanzierung zu tun haben. Die Medien tragen meiner Meinung nach bewusst zu dieser Verwirrung bei.
Ich habe mich gefreut über den Aufruf des SPD Funktionärs und ehemaligen Staatssekretärs in Berlin, Mark Rackles, und hoffe, dass er innerhalb seiner Partei und der Gewerkschaften Wirkung erzielt. Verbündete können wir gar nicht genug kriegen.
Für seine Anregung, den Begriff Bedingungsloses Grundeinkommen durch das Wort "Solidareinkommen" zu ersetzen, spricht, dass es sich auch verbal klarer von anderen – vor allem neoliberalen – Ideen einer Grundsicherung abgrenzen würde und vielleicht gerade im Gewerkschaftsbereich anschlussfähiger wäre. Ihr solltet mal darüber nachdenken!
Aber unabhängig von der Wortwahl geht es darum, unsere Vorstellungen eines emanzipatorischen Grundeinkommens, des grundsätzlichen Rechts auf Existenzsicherung und gesellschaftliche Teilhabe, zu verbreiten, das Thema anzusprechen und zu informieren, die Kolleg*innen im Betrieb, die Menschen in unserem persönlichen Umfeld – Familie, Freund*innen, Nachbarschaft, in der Partei, Gewerkschaft oder wo auch immer – zum Nachdenken anzuregen, Scheren aus dem Kopf zu nehmen und zu überzeugen.
Vielfach auch eine Perspektive aufzuzeigen, zu ermutigen und Hoffnung zu geben auf ein gutes Leben und wie es aussehen kann.
Dazu gibt es gerade jetzt so viele Ansatzpunkte – Folgen der Corona-Krise, Digitalisierung – die (Erwerbs)arbeitsgesellschaft verändert sich drastisch – zunehmende Prekarisierung und Existenzangst, ein Roll-Back in Fragen der Geschlechtergleichstellung…
Noch nie war ein BGE so nötig wie heute!
Lasst es uns immer wieder in unserem Alltag thematisieren und gemeinsam alle Möglichkeiten nutzen dafür einzustehen!
Herzlich
Sylvia Honsberg
PS:
Die IG BAU Frauen laden ein zur Mitarbeit an ihrer virtuellen Aktion zum BGE. Jede Woche erscheint ein neues Posting: "Recht auf Sein! – Warum ich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen bin." Einfach ein kurzes Statement (300 Zeichen) mit dem Namen und eventuell der Funktion sowie ein druckfähiges Portraitfoto an [Bitte aktivieren Sie Javascript] schicken.