Tariflöhne: Europaweit auf Erholungskurs, aber mit Luft nach oben
Besonders hohe Kaufkraftgewinne gab es in Österreich (5,4 Prozent), Portugal (4,5 Prozent) und der Slowakei (3,8 Prozent). Aber auch in Deutschland lag der inflationsbereinigte Zuwachs mit 2,8 Prozent leicht oberhalb des Durchschnitts. Die Erfolge wurden von den Gewerkschaften teilweise hart erkämpft: Die in der Studie dargestellte Entwicklung zeigt eine deutliche Zunahme des Arbeitskampfvolumens in den Jahren 2023 und 2024 – und zwar selbst in Ländern wie Österreich, in denen ansonsten kaum gestreikt wird.
Ein beispielhafter Blick auf die Entwicklung in unseren Branchen:
- Bauhauptgewerbe: Die IG BAU konnte 2024 Lohnsteigerungen von 4,2 Prozent (West) bzw. 5 Prozent (Ost) durchsetzen, 2026 folgt eine weitere, bundesweit einheitliche Erhöhung um 3,9 Prozent. Zusätzlich gab es 2023 und 2024 eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von jeweils 500 Euro. Das hat viele Beschäftigte spürbar entlastet.
- Gebäudereinigung: In Deutschlands größtem Handwerk wurde der Stundenlohn für Beschäftigte in der untersten Lohngruppe im letzten Jahr um 5,8 Prozent angehoben – in einigen anderen Lohngruppen sogar stärker. Gerade in dieser Branche, in der viele Kolleginnen und Kollegen jeden Euro zweimal umdrehen müssen, war das eine echte Hilfe im Alltag.
Weiterhin Aufholbedarf
Doch: Trotz dieses Aufwärtstrends liegen die Tariflöhne in ganz Europa (mit Ausnahme Portugals) noch unter dem Niveau von 2020. In Deutschland beträgt der Rückstand – je nach Berechnungsmethode – zwischen 4,7 Prozent bis zu fast 10 Prozent. In der Eurozone insgesamt lagen die realen Tariflöhne 2024 noch rund 5 Prozent unterhalb des Vorkrisenniveaus.
Während der jüngsten Inflationskrise waren die Tarifsteigerungen zunächst deutlich hinter die explodierende Inflationsrate zurückgefallen. Das lag laut Europäischem Tarifbericht häufig an den langen Laufzeiten von Tarifverträgen, die etwa in Deutschland durchschnittlich zwei Jahre betragen. Während eines laufenden Tarifvertrags herrscht Friedenspflicht, sodass die Gewerkschaften erst mit Verzögerung auf unvorhergesehene Ereignisse wie die Preisschocks reagieren konnten. Gleichzeitig nutzten viele Unternehmen Preiserhöhungen zur Steigerung ihre Gewinnmargen, statt Entlastung an die Beschäftigten weiterzugeben. Die Krise wurde so in weiten Teilen zulasten der Arbeitenden bewältigt.
Der Aufholprozess ist noch längst nicht abgeschlossen. Gerade deshalb bleiben starke, solidarische Gewerkschaften unverzichtbar: um im Notfall Mittel des Arbeitskampfes ausschöpfen zu können, die Kaufkraft der Mitglieder zu sichern und Gerechtigkeit wiederherzustellen.
Weitere Details und den Tarifbericht zum Herunterladen gibt es bei der Hans-Böckler-Stiftung:
www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-reale-tariflohne-in-europa-69935.htm