Wie die Arbeitszeiterfassung gelingt
Was genau das Urteil des Bundesarbeitsgericht nun mit dem EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung zu tun hat, was es für Arbeitgeber und Betriebsräte bedeutet und warum Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit trotzdem möglich sind, erklärt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.
Was hat das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung damit zu tun?
"Es war schon lange klar, dass nach europäischem Recht eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht – der Europäische Gerichtshof hat das 2019 so festgestellt. Umstritten waren die Auswirkungen auf das nationale Recht. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt: Arbeitnehmer*innen können sich auf das deutsche Recht zur Durchsetzung ihres Anspruches auf einen effektiven Arbeits- und Gesundheitsschutz auch in Hinblick auf die Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten stützen. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung leitet das BAG aus dem Arbeitsschutzgesetz ab."
Was müssen Arbeitgeber für die Arbeitszeiterfassung tun?
"Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist in der Debatte, ob eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht und was Arbeitgeber tun müssen, eine glasklare Entscheidung gefallen. Das ist eine gute Nachricht für Arbeitnehmer*innen: Überstunden, Überlastung und Überforderung können mit einer verlässlichen Arbeitszeiterfassung eingedämmt werden. Überlange Arbeitszeiten, zu wenig Pausen und Ruhephasen sind gesundheitsschädlich.
Arbeitgeber müssen jetzt erst recht aktiv werden: Sie müssen ein System einführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit verlässlich erfasst werden kann. Kommt der Arbeitgeber trotz Aufforderung seiner Verpflichtung nicht nach, können sie sich auch an die Arbeitsschutzbehörden wenden, die für die Überwachung des Arbeitsschutzes zuständig sind. Wo es Betriebsräte gibt, müssen auch sie ihre Hausaufgaben machen, damit der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nachkommt. Betriebsräte können nun Initiative ergreifen und ihre Beteiligungsrechte bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung einfordern."
Was bedeutet das BAG-Urteil für Betriebsräte?
"Ein Mitbestimmungsrecht besteht immer nur dann, wenn dem Arbeitgeber ein eigener Entscheidungsspielraum zur Verfügung steht. Wenn der Arbeitgeber ohnehin zur Arbeitszeiterfassung nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet ist, dann kann der Betriebsrat nicht mit ihm darüber verhandeln. Anders zu bewerten ist die Frage, wie die Arbeitszeiterfassung konkret ausgestaltet wird – solange es hier keine abschließenden Regelungen gibt, können und müssen Betriebsräte über die Modalitäten der Arbeitszeiterfassung mitbestimmen."
Was ändert sich an der Vertrauensarbeitszeit und im Homeoffice?
"Das Urteil bedeutet mitnichten das Ende von Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice – das ist eine Gespensterdebatte. Vertrauensarbeitszeiten und Homeoffice sind weiter möglich. Arbeitgeber müssen aber ihrer Verpflichtung zum Arbeitsschutz auch bei diesen Modellen nachkommen, im Klartext: Sie müssen dafür sorgen, dass Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten werden – und zwar indem sie ein objektives, verlässliches und zugängliches System einführen, mit dem die Arbeitszeit erfasst wird. Vollkommen abwegig ist die oft von Arbeitgebern geäußerte Fantasie von der ausnahmslosen Rückkehr der Stechuhr.
Das zeugt von mangelnder Vorstellungskraft – wir leben schließlich im digitalen 21. Jahrhundert und eine Zeiterfassung ist so einfach wie nie zuvor. Jedenfalls widerspricht es überhaupt nicht dem Bedürfnis vieler Arbeitnehmer nach flexibler Arbeitszeitgestaltung, ganz im Gegenteil. Denn Arbeitszeiterfassung darf man nicht mit Präsenz an einem Ort – zum Beispiel dem Büro - gleichsetzen."
Welche Kriterien muss ein System zur Arbeitszeiterfassung erfüllen?
"Zeiterfassung gilt nur als objektiv, wenn ihr nachweislich die tatsächlich erbrachte Arbeit zugrunde liegt. Es ist rechtlich in Ordnung, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit selbst erfassen – Arbeitgeber sind jedoch verpflichtet, die Arbeitszeitdokumentation zu prüfen und sicherzustellen, dass sie eingreifen können, wenn Beschäftigte nach der Überschreitung von Höchstarbeitszeiten weiterarbeiten. Verlässlich ist die Erfassung dann, wenn sie unverzüglich erfolgt und alle geleistete Arbeit umfasst – das bedeutet auch Bereitschaftszeiten und Zeiten von Arbeitsbereitschaft.
Zugänglich sein muss die Zeiterfassung zum einen für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber, zum anderen aber auch für Aufsichtsbehörden und Interessenvertretungen in den Betrieben und Dienststellen. Zu erfassen ist die Zahl der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden. Damit die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten und Ruhepausen eingehalten werden reicht es aber nicht, bloß die Zahl der geleisteten Stunden zu dokumentieren. Auch Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit müssen festgehalten werden."
Der Beitrag ist ursprünglich auf der Website des DGB erschienen.