Wandergeselle Sven Orthen
(Foto: privat)
22.12.2020
Junge BAU Aktuell

Fünf Jahre lang war Junge BAU-Mitglied Sven als Handwerksgeselle auf Wanderschaft. Eine lange Zeit, über die wir ihn ausgefragt haben.

Magst du uns zum Einstieg kurz die Eckdaten deiner Wanderschaft geben? Wann ging es für dich los, welche Stationen gab es, wie hast du dich fortbewegt?

Ich bin direkt vier Wochen nach meiner Gesellenprüfung am 29. August 2011 losgegangen. Heim ging es am 29. August 2016. Längere Zwischenstopps waren unter anderen in Dublin, dort habe ich für zweieinhalb Monate gearbeitet. In Urugay war ich für viereinhalb Monate an verschieden Orten. Insgesamt war ich für sechs Monate in Südamerika, je zwei Monate auf Korsika und in Norwegen und für zweieinhalb Monate. Normalerweise war ich immer für zwei bis drei Monate an einem Ort. Viel auch in Norddeutschland. In Europa bin ich hauptsächlich getrampt, nach Südamerika bin ich geflogen.

Was hat dich zu deiner Wanderschaft motiviert?

Ich habe als Lehrling eine Doku über Wandergesellen im Fernsehen gesehen gesehen. Das hat mich sofort fasziniert und das Fernweh hatte mich gepackt. Also habe ich mich dazu entschlossen, nach der Lehre auch auf „Tippelei“ zu gehen.

Haben sich deine Erwartungen erfüllt? Was war anders, als du es dir vorgestellt hast?

Man stellt es sich definitiv romantischer vor, als es ist. In schweren Klamotten durch den Regen zulaufen macht eher keinen Spaß. Im Sommer sind sie zu warm und im Winter zu kalt. Auch das Schlafen im Freien, wenn man mal keine Unterkunft findet, selbst im Winter, ist nicht angenehm. Einmal, bei Minus 20 Grad in einer Tiefgarage im Allgäu, hab ich mir schon „Was ein sch…" gedacht. Aber trotzdem ist es einfach eine einmalige und geniale Erfahrung. Meine Erwartung war es, ein Abenteuer zu erleben. Die hat sich definitiv erfüllt!

Wie würdest du deine fachliche Entwicklung in dieser Zeit beschreiben? Was ist anders gelaufen, als es auf dem "konventionellen" Weg gewesen wäre?

Wanderschaft ist natürlich eine super Sache, um sich in kürzester Zeit fachlich enorm weiterzuentwickeln. Ich habe zum Beispiel in Norddeutschland gelernt, zu klinkern. Das kann man in Deutschland nicht überall. Im Ausland wiederum musste ich oft improvisieren, grade in den ländlichen Regionen, wenn der nächste Baumarkt Stunden entfernt ist. Auch von den lokalen Handwerkern zu lernen ist eine unbezahlbare Erfahrung – jede Region ist auf andere Dinge spezialisert.

Angeblich gelten für Wandergesellen spezielle Regeln. Kannst du mehr dazu erzählen? Was passiert, wenn jemand gegen sie verstößt?

Das stimmt: Man geht mit 5 Euro los und kehrt mit 5 Euro wieder Heim. Die Wanderschaft ist nicht dazu gedacht, sich materiell zu bereichern, sondern seine handwerklichen Fähigkeiten zu verbessern und seinen Horizont zu erweitern. Handys sind auch Tabu, man hält sich an Abmachungen und trifft sich am ausgemachten Ort zur ausgemachtem Zeit. Früher hat es schließlich auch ohne geklappt. Natürlich sollte man sich vernünftig verhalten, zum Beispiel nicht stehlen oder so. Aber das ist eigentlich selbstverständlich. Wenn man trotzdem Mist baut und etwa einen Meister bestielt, wird einem der Ohrring rausgerissen und man ist für alle als Schlitzohr erkennbar. Daher kommt auch das Wort.

Wie hast du unterwegs Arbeitgeber*innen gefunden?

Entweder erkennen einen die Leute auf der Straße an der Kleidung und bieten einem Arbeit an, oder man holt sich bei der örtlichen Handwerkskammer eine Liste der Betriebe und klappert die Meister ab, um zünftig für Arbeit vorzusprechen.

Wie ist der Kontakt zu anderen Gesellen? Läuft man sich öfter über den Weg oder ist Wanderschaft eine eher einsame Angelegenheit?

Alleine ist man eher selten. Meistens bin ich mit anderen Gesellen zusammen gereist. Oft sind es Zweier-Kombis, was angenehmer ist, da man immer jemanden zum Reden hat. Aber auch große Gruppen kann es geben, grade wenn jemand Heim geht. Außerdem haben wir verschiedene geplante Treffen im Jahr. Auch haben die verschiedenen Schächte (Anmerkung: Vereinigungen von Handwerker*innen) ihr Budensystem, das jeder Reisende kennt und auch der Kontakt zu den einheimischen Gesellen wird darüber gepflegt.

Spielen Schächte eine große Rolle und worin unterscheiden sie sich üblicherweise?

Schächte sind wichtig für den Erhalt der Traditionen. Die Rolle der Zünfte des Mittelalters wirken da noch nach. Jeder Schacht hat einige eigene Regeln und Voraussetzungen für Neumitglieder. Selbst bin ich Einheimischer Freiheitsbruder, also im Fremden Freiheitsschacht gereist. Bei uns ist es Grundvoraussetzung, dass man Mitglied einer Gewerkschaft ist. Dann gibt es aber auch Unterschiede darin, welcher Schacht welche Gewerke erwandert und auch, ob nur Männer oder Männer und Frauen erwandert werden. Man kann daher auch nicht einfach in jedem Schacht reisen.

Was können junge Kolleg*innen unternehmen, wenn sie sich für das Thema interessieren und überlegen, selbst auf Wanderschaft zu gehen?

Am besten viel informieren, etwa übers Internet. Dort gibt es auch Kontaktadressen von einheimischen Gesellen (oft auf den Internetseiten der Schächte, wenn diese eine haben), die man anschreiben kann. Ansonsten muss man das Glück haben, einen Gesellen auf der Straße zu treffen oder privat Leute zu kennen, die gereist sind. Dadurch ist es auch möglich, Kontakt zu Reisenden herzustellen und mehr zu erfahren. Generell gilt: Nicht schüchtern sein und immer auf die Leute zugehen.